Herbst-Tag-und-Nachtgleiche: Der Kreislauf des Jahres nähert sich langsam dem Ende, symbolisiert wird diese Zeit, durch die Göttin als reife Frau und Mutter.
Die Zeit rund um den Herbstbeginn ist daher natürlich ganz und gar den üppigen, mütterlichen, beschenkenden und großzügigen Ernte-, Erd- und Muttergöttinnen gewidmet: Ein Symbol der Erntegöttin, das auf der ganzen Welt verbreitet ist, ist die Kornmutter, die z.B. in Indien als Reismutter, bei den indigenen Völkern Nordamerikas als Maismutter und im alten Mitteleuropa als Roggenmuhme verehrt wurde.
Oft wird sie als Puppe aus den letzten Garben hergestellt, über den Winter auf einem Ehrenplatz im Haus aufbewahrt, damit ihr Segen in das nächste Jahr, den nächsten Erntezyklus hineinreicht.
Hier eine kleine Übersicht über die Herbst-Göttinnen:
Ceres – Sie ist die etruskische und römische Mutter Erde. Alles Lebendige entsprießt ihrem Schoß und nach dem Tode nimmt sie es wieder in sich auf – wie z.B. die Pflanzen, die nach der Ernte überbleiben. Ihr Name ist nicht nur in den Cerealien enthalten. Sehr gut drückt unser Wort „kreieren“ die wesentliche Kraft von Ceres als große Erdmutter aus. Immer noch werden zu Ehren von Ceres nach ihr benannte „Zeremonien“ abgehalten.
Habondia – Die angelsächsische, keltische Erdgöttin sichert reichliche Ernte und fruchtbares Vieh. Von ihr leitet sich auch das englische Wort „abundance “ = Fülle ab. Ihre Botschaft ist: Es ist immer für alle alles da! Während du einen Apfel isst, ist die Göttin, die Mutter Natur gerade dabei, einen weiteren Apfel wachsen und reifen zu lassen.
Karpo – Mit der griechischen Göttin wird Reife, Ernte und Herbst assoziiert. Mit ihren beiden Schwestern Thallo (Göttin des Blühens) und Auxo (Göttin des Wachsen) sichert sie die zyklischen Abläufe und die Ordnung der Natur und natürlich auch das Gedeihen und Wachstum der Pflanzen, die uns ernähren.
Sie ist auch die Göttin des richtigen Zeitpunkts: Am besten ist die Ernte dann, wenn die Früchte am höchsten Punkt ihrer Reife und noch nicht überreif sind. Oft muss es bei der Ernte auch schnell und effizient zugehen, bevor die Herbststürme über das Land ziehen. Da gilt es, keine Zeit zu verlieren!
Tamfana – Ähnlich verhält es sich mit Tamfana, die als älteste belegte germanische Gottheit gilt. Als Erd- bzw. Erntegöttin ist sie der Inbegriff der herbstlichen Erde.
Bei ihren Tempeln bzw. Hainen wurden Herbst- bzw. Erntefeste abgehalten. Ältere Forschungen terminierten diese Feste auf Ende Oktober oder zum Vollmond als ein Winterfest. Wahrscheinlicher ist jedoch ein Datum Ende September. Das Fest könnte somit mit dem Datum der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche zusammenhängen und damit ein Erntedankfest gewesen sein. Nach dem Bericht von Tacitus waren dies nächtliche ausgelassene Feste mit Bankett und Alkohol.
In den Nächten der Tamfana wurde aber auch der „Wechsel des Jahres“ begangen, also der Übergang vom Sommer zum Winter, die Einbringung der Ernte und die Aufnahme der Geister der Verstorbenen ins Reich der Toten. Damit ist sie eine Gebieterin über die Zeit, bzw. auch die Gebieterin über das Abgemessene bzw. über das Zeitmaß. Denn jetzt, wenn der September ins Land zieht, wenn der Herbst in der Luft liegt, beginnen wir die Endlichkeit zu spüren.
Wie lange ist das Zeitmaß des Jahres, der Wärme und des Lichts und auch jenes des eigenen Lebens? Wieviel Zeit bleibt uns noch. Wieviel Sommerzeit? Wieviel Lebenszeit?
Chang-O – In China wird eine Mondgöttin beim Erntefest im Herbst gefeiert. Die Legende erzählt, dass Chang-O mit ihrer Menstruation das Elixier der Unsterblichkeit besaß. Wie auch in vielen anderen Kulturen glaubte man im alten China an eine enge Verbindung von der inneren Natur der Frau und der äußeren Natur der Erde und des Kosmos. Chang-O ist, wie auch andere Mondgöttinnen, Taktgeberin des Rhythmus.
Sie lenkt ebenso die weiblichen Zyklus von Werden und Vergehen wie auch den Wechsel der Jahreszeiten. Nichts stirbt – weder die Frau mit ihrer Menstruation, noch die Natur im Herbst.
Alles unterliegt einem Zyklus und erneuert sich.
Aus diesem Grund steht in China die Göttin des Mondes im Mittelpunkt des Herbst-Festes, das mit runden Mondkuchen gefeiert wird.
Latiaran – Die irische Göttin hat zwei Schwestern. Sie verkörpert in dieser Göttinnen-Triade die Ernte und den Herbst. Ihre beiden Schwestern sind Lassair, die Frühlingsgöttin und Inghean Bhuidhe, die Göttin des Sommers. Latarian bestimmt den Zeitpunkt der Erntezeit. In der Zeit, in der Latiaran regiert, „sterben“ die Felder“ – damit ist sie auch eine Todesgöttin, die in ihrem erneuernden wiedergebärenden Aspekt im Frühjahr als Lassair wiederkehrt.
Modron – Die walisische Ahnin ist eine Göttin der Übergänge. Sie steht für die Übergänge der Jahreszeiten, aber auch an der Schwelle in die „Anderswelt“. Auch sie ist ein Aspekt einer Göttinnen-Triade: In der keltischen Mythologie gehört Modron mit ihrer Tochter Brigid und ihrer Mutter Cailleach zu einer der dreigestaltigen Einheiten der Göttin.
Sie übergeben einander ihr Zepter, einen Zauberstab, der später als Hexenbesen gedeutet wird, jeweils am Wechsel von Jahreszeiten. Modron ist die Mutter von Mabon oder Maponos, dem Gott der Jugend, der ihr gestohlen wurde, als er drei Tage alt war. Dieser verleiht diesem Fest zu Herbstbeginn auch seinen Namen.
Aschera – Hebräische und kanaaitische Frauen formten Ashera-Figuren aus Brotteig. Die alte hebräisch-kaanaitische Muttergöttin wurde auch das „Erste Brot des Lebens“ genannt. Das lässt darauf schließen, dass aus dem ersten Mehl nach der Ernte diese Weihefiguren zu Ehren der Göttin hergestellt werden. Vermutlich wurde mit diesen Figuren orakelt. Jedenfalls wurden diese Aschera-Figuren aus Brot gesegnet und rituell gegessen, sozusagen, um die Göttin mit allen ihren Kräften ganz sich aufzunehmen, sich mit ihr eins zu fühlen. Dieses Ritual wurde von den christlichen Kirchen in Form der Kommunion mit Brot oder Oblaten übernommen. Das Aschera-Ritual ging möglicherweise in das jüdische Laubhüttenfest über.
Uti Hiata – Die Korn- bzw. Maismutter des indigenen Volkes der Pawnee ist die Göttin der Ernährung und der Ernte, ebenso wie eine Göttin des Todes und der Wiedergeburt.
Sie „opfert“ sich in der Ernte, wird „begraben“, indem Maiskörner unter die Erde gebracht werden und sie wird mit den neuen Maispflanzen im Frühjahr wiedergeboren. Die Menschen der Pawnee und anderer Stämme rufen sie immer noch mit der Bitte um Nahrung, Fruchtbarkeit und bitten um ihr Wohlwollen.
Zaramama – Sie wird als die Mutter aller Ernten bezeichnet. Zu Ehren der südamerikanischen Korn- und Maisgöttin streuen Frauen auf die Felder (Mais-)Mehl, um der Göttin etwas von ihrer Gabe zurückzugeben. Zu diesem Zweck werden nach der Ernte auch Figuren von ihr an den Feldrändern eingegraben.
Um die Göttin zu rufen, werden an Weidebäumen aus Maisblättern geformte Göttinnen-Gestalten aufgehängt.
Renenutet – Sie ist die ägyptische Göttin der Landwirtschaft und der Ernte und wurde als zweifache Göttin der Kornkammer verehrt, die die Menschen mit Korn und Milch versorgt. Als „Göttin des Fruchtlandes“ oder „Göttin, die den Erntesegen gibt“, ist sie für ausreichende Ernten und deren Schutz und damit auch für das Gedeihen der Pflanzen und der Menschen verantwortlich.
Maat – Im antiken Ägypten war sie die rätselhafte Instanz für Ausgewogenheit und Harmonie in jeder Existenzform. Da es beim Fest der Herbst-Tag-und Nachtgleiche ja um diesen kurzen Augenblick der Balance zwischen Tag und Nacht, zwischen hell und dunkel geht, ist sie natürlich auch eine hervorragende mythologische Figur, die durch diese Zeit geleitet. Ihr Name basiert auf der universellen indoeuropäischen Stammsilbe „Ma“, die einfach „Mutter“ bedeutet. Auch die Wörter Material, Mathematik, Maß und Meter stammen von dieser Silbe ab.
Maat wird daher zu Recht mit den großen Ordnungssystemen in Verbindung gebracht. Und auch das ist das zentrale Thema des Herbstes: Maßnehmen, Abwägen, Ordnen und Einteilen (von Lebensmitteln und auch von Lebenskraft). Ohne diesen Tätigkeiten wären die Menschen früher nicht über den Winter gekommen.
Ihre Geschichte mutet verwirrend an: Denn einerseits steht sie für moralisches Recht und Ordnung, andererseits für Veränderung und gar Chaos. Auch ihr Name weist auf diese Gegensätzlichkeit hin: Er wird auch als „Maa.tj“ geschrieben wird, was „die beiden Maat“ bedeutet. Sie steht in der Mitte und hält die Waagschale, sie bildet aber auch das Gewicht auf beiden Seiten. Ihr Mysterium kann also symbolhaft für das ganze Wesen der Balance angesehen werden. Denn Balance ist nicht einfach die Mitte zwischen zwei Extremen oder ein Kompromiss. Sie ist vielmehr die Bewegung zwischen den Polen, so wie sich ja auch eine Waagschale einpendelt. Maat steht an der Schwelle zwischen hell und dunkel, zwischen Denken und Fühlen, Geben und Nehmen, zwischen Aktivität und Ruhe und allen anderen Gegensätzen. Balance ist der Tanz zwischen den Extremen. Alles darf da sein. Wäre alles gleich, wäre das ja auch langweilig? Wenn uns die Hektik des Alltag zu viel wird, sehnen wir uns nach Entspannung und Ruhe. Aber das auch nur für gewisse Zeit. Wer will schon monatelang nichts tun? Selbst in einem entspannenden Urlaub sucht man nach einiger Zeit nach Aktivität. Und das ist also die Ausgeglichenheit, wie sie Maat uns vermitteln will. Nicht entweder/oder sondern sowohl/als auch. Und alles zu seiner Zeit, im richtigen Moment. Darauf zu achten, erscheint wichtig.
Wer der Auffassung ist, dass in der Arbeit gearbeitet und in der Freizeit entspannt wird, wird sich da eher schwer tun. Die Botschaft der Maat gerade zur Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche: Achte auf die kleinen Dinge, die dich in Balance bringen, die kleine Pause zwischendurch, den kleinen Aktivitätsschub in der Entspannungsphase. Denn das bringt dich wieder in den Fluss zwischen den Ufern.
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Dieser Text ist ein Auszug aus dem artedea-eBook
Herbstäquinox –
Mabon: Das Fest des Dankes und des Übergangs
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Am 28. September 2019 gibt es in Wien ein Mondfest zum Thema
Herbst-Erde und die (ab-)gemessene Zeit
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Mehr Infos zu den erwähnten Göttinnen:
Aschera
Auxo
Brigid
Cailleach
Ceres
Chang-O
Habondia
Karpo
Latiaran
Maat
Modron
Renenutet
Tamfana
Thallo
Uti Hiata
Zaramama
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