Zwei Göttinnen werden „juristische Personen“

Wenn der Hintergrund nicht so schlimm wäre, dann wäre das eine echte Sensation: Die beiden heiligen Flüsse Indiens sollen durch ein Gerichtsurteil besser geschützt werden können.
Ganga und Yamuna – das sind nicht nur zwei Flüsse – schon immer galten sie als Göttinnen, so wie viele andere Flüsse auch von den Menschen nicht einfach nur als Wasser wahrgenommen wurden, dass durch das Land fließt, in dem sie leben.
Zu diesen zählen z.B. auch Oshun in Nigeria, mit ihren Fluss, dem Niger, die ägyptische Nilgottin Nathor, Upes mate, die lettische Göttin der Flüsse und auch Danu, die Donaugöttin.

Der Fluss ist die Mutter

Der Ganges wurde schon in alten Zeiten als „ma ganga“ – Mutter Ganga – verehrt, einfach weil dieses Gewässer für Wohlstand, Erlösung, Gesundheit und Überfluss steht.
Flüsse überziehen wie Lebensadern diese Erde und sie gelten als Mütter jeglicher Zivilisation. Daher war es für unsere Vorfahren klar: Der Fluss ist eine Muttergöttin!

Nahezu alle großen Städte sind an Flüssen entstanden. Damit war der Handel auf dem Wasserweg sowie die Fruchtbarkeit der Anbaugebiete gesichert. Das ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Stadt und das Umland wachsen und sich die Zivilisation entwickeln kann. Gute Handelswege und fruchtbares Flussland brachte den Menschen auch Reichtum und Wohlstand.

Aber nicht nur diese praktische Gründe brachten den Flüssen den Status von Göttinnen. Ein Fluss ist immer etwas Erhabenes, reinigend und nährend wirkt er als heilig.
Das ist ganz besonders am Ganges ein wichtiges Merkmal, an dessen Flusslauf es zahlreiche wichtige Pilgerorte gibt.
Die Verehrung der Göttin Ganga ist eine der lebendigsten Göttinnen-Verehrungen in unserer Zeit.
Gläubige Hindus waschen sich drei Mal täglich in den reinigenden Wassern. Wobei es hier eher um geistig-seelische, denn körperliche Reinigung geht.
Denn der Ganges und der ein Nebenfluss Yamuna sind durch Industrieabwässer und andere Abwässer und Müll stark verschmutzt.

Gift und Industrieabfälle

So beherbergt der Fluss Yamuna eine große Vielzahl an Pflanzen- und Tierarten und ist vor allem ein Refugium für seltene Vogelarten. Er hat an einigen Stellen Trinkwasser-Qualität, weshalb wohl auch die Göttin Yamuna als die Göttin der Reinheit und Reinigung angesehen wird. Doch dies gilt nur bis vor die Tore der Stadt der Stadt New Delhi. Von da an ist der Fluss Yamuna praktisch tot.
Im Bundesstaat Haryana, der an die indische Metropole angrenzt, wird das meiste Frischwasser für die Bewässerung von Feldern durch einen Damm zurückgehalten. Durch das Wehr fließt nur ein dünnes Rinnsal.
Wenige hundert Meter weiter wird das Flussbett wieder aufgefüllt: Mit Gift und Industrieabfällen, das ungefiltert aus 19 Kanälen in Yamuna geleitet wird und dafür sorgt, dass keinerlei Sauerstoff mehr im Wasser ist, der Leben ermöglichen würde. Es stinkt erbärmlich, aus der schwarzen Brühe, die kaum noch an Wasser erinnert, steigen Methan-Blasen auf. Indiens Regierung richtet ihren Fokus aufs Wirtschaftswachstum, aus dem Blick gerät dabei die Umwelt.
Durch die Metropole New Delhi fließt Yamuna völlig vergiftet und beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die an all dem wenig Anteil nimmt – auch deswegen, weil Yamuna aus dem Stadtbild verdrängt und hinter Beton weggesperrt wurde.
Wo einst das Flussbett war, ist heute eine Schnellstraße. Der katastrophale Zustand dieses Flusses steht einerseits exemplarisch für die Wasserverschmutzung weltweit.
Und damit ist der heilige Fluss Yamuna auch ein trauriges Sinnbild dafür, wie mit dem, was Jahrtausenden als lebensspendende Göttin angesehen und verehrt wurde, heute umgegangen wird.

Status einer moralischen Person

Nun entschied ein Gericht im nordindischen Bundesstaat Uttarakhand, dass Ganges und Yamuna „lebende Wesen mit dem Status einer moralischen Person“ seien. In der Folge können BürgerInnen im Namen der Flüsse vor Gericht ziehen.
Dies soll dazu beitragen, die beiden Flüsse wirksamer vor Verschmutzung zu bewahren. „Die Lage erfordert außergewöhnliche Maßnahmen, um diese Flüsse zu schützen und zu erhalten“, begründete das Gericht seine Entscheidung. Die Ströme sind damit als „lebende Einheiten“ klassifiziert und haben dadurch – ähnlich wie Minderjährige – Anspruch auf einen Vormund, der das Wohl des Flusses zu wahren hat, z.B. in einem Prozessen gegen industrielle Verschmutzer.

Beispiele in Neuseeland und Ecuador

Kurz davor hat Neuseeland einen Fluss zu einer juristischen Person gemacht, weil er von den Maori als heilig verehrt wird: Der Whanganui River, mit 290 Kilometern der drittlängste Fluss des Pazifikstaates, bekommt mit der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes zusätzlichen Schutz.
Mit der neuen Regelung kann auch dieser Fluss zum Beispiel bei Gerichtsverfahren eigenständig vertreten werden.
Das erinnert auch an Ecuador, das in seiner Verfassung aufgenommen hat, dass die Erde, die alte Göttin Pachamama, als lebendiges Wesen gilt und damit ein Recht darauf hat, dass ihre Existenz und Bewahrung, die Erhaltung und Wiederherstellung lebenswichtiger Zyklen und alle natürlichen evolutionären Prozesse geachtet werden müssen.

Beispiele, die weltweit Schule machen sollten.
Haben früher Menschen ihre Flüsse und die Erde, auf der sie lebten als Göttin angesehen, so gibt es heute engagierte Menschen, die diesen den Status von juristischen Personen verleihen.

Mehr Infos zu den erwähnten Göttinnen:

Danu
Ganga
Nathor
Oshun
Pachamama
Upes mate
Yamuna

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