Die „Kalte Sophie“ und der Heilige Geist – eine Eisheilige oder eine große Schöpfungsgöttin?

sophia3Mit der „Kalten Sophie“ sollen am 15. Mai ja die sogenannten Eisheiligen beendet sein. Dazu gibt es zahlreiche Bauernregeln.
Stellt sich die Frage, wer diese kühle Frauenfigur ist.
Sophia wird von JüdInnen und gnostischen ChristInnen als allumfassender Geist, als Schöpferin allen Lebens verehrt. Sophia ist der Anfang der Schöpfung, die uralte biblische „Frau Weisheit“, jene göttliche Kraft, die vor allem anderen bereits da war, die weibliche Seele Gottes, die Quelle der Kraft.
In ihrer ursprünglichsten Form gilt Sophia als Schöpferin allen Lebens, aus der ihre männliche Ergänzung geboren wurde.

Was ja heuer interessant ist: Die „Kalte Sophie“ fällt exakt auf den Pfingstsonntag, das kommt selten vor (1910, 1921, 1932, 2005, 2016 und dann bis 2100 gar nicht mehr).
Zu Pfingsten wird im Christentum ja die Aussendung oder auch die Ausgießung des „Heiligen Geistes“ gefeiert — und dieser ist weiblich. Wenn die Menschen zu Pfingsten vom Heiligen Geist erfüllt werden, dann ist das eigentlich die Feier der weiblichen Schöpfungskraft.
Zwei Mal also ein Anlass, sich mit der Sophia zu beschäftigen — dem „kalten Sopherl“ und der „Heiligen Geistin“, der weiblichen Urkraft in der christlichen Dreifaltigkeit.

Die Muttergöttin des Juden- und Christentums

dreifaltigkeitsfresko1Eigentlich ist es schwer nachzuvollziehen, warum in nahezu allen Mythen, Religionen und Kulten der Schöpfungsakt, dieses Ur-Gebären entweder einer weiblichen Gottheit oder dem Zusammenwirken von einer weiblichen und einer männlichen Gottheit zugeschrieben wurde und just im Juden- und Christentum dies alles alleinige Männersache gewesen sein soll.
War es auch nicht, denn immerhin gibt es ja auch den „Heiligen Geist“ und unter diesem verstand man seit jeher eine göttliche Kraft mit eindeutig weiblichen Zügen. Eine sehr schöne Darstellung davon gibt es in der kleinen St.-Jakobus-Kirche im oberbayrischen Urschalling. Beachtenswert ist vor allem auch die Stelle an der sich die Mantelfalten von Gottvater und Jesus überlappen! (Und das was darunter ist lässt ja auch einigen Deutungsspielraum zu).

Personifiziert und verehrt wird der Heilige Geist als Sophia, der großen Muttergöttin des Juden- und Christentums, welche der Welt das Licht und die Weisheit brachte.
Um das zu vertuschen, wurde aus der weiblichen Figur alsbald ein Taube. Dieses Symbol hat Sophia jedoch mit einer Reihe anderer alter großer Göttinnen gemein: mit Ischtar, Astarte, Anahita, Eurynome und später auch mit Aphrodite und der Venus. Damit ist die weibliche Kraft noch ersichtlich.
Als die Kirche römisch wurde, erlitt sie allerdings durch den grammatikalisch eindeutig männlichen Begriff „Spiritus Sanctus“ ihre letztgültige Geschlechtsumwandlung.

Mit Sternen gekrönte Göttin zur Eisheiligen degradiert

Sophia – dieser „Heilige Geist“ bzw. die höchste intuitive Weisheit ist der weibliche Pol der christlichen Dreifaltigkeit. Das zeigt sich in der Darstellung Gottes als Auge in einem Dreieck.
Wenn Gottvater das Auge ist, dann ist das ihm umgebende Dreieck die Kraft von Sophia, in die er sozusagen eingebettet ist. Sie stellt als symbolhaftes Dreieck die dreifaltige Ausprägung der Lebenszyklen von Geburt, Tod und Wiedergeburt dar, ist Ausdruck der uralten Göttinnen-Triade, aus Jungfrau, Mutter und Weiser Alten.

HagiaSophiaMosaic1Sophia ist die mythische göttliche Gestalt besonders in den orthodoxen Kirchen Russlands, Griechenlands und anderer Staaten. Als Ikone wird Sophia im Mittleren Osten stets mit Sternen gekrönt dargestellt, was ihre absolute Göttlichkeit unterstreichen soll.
Es gibt viele Kathedralen, die der Sophia gewidmet sind. Eindrücklichstes Zeugnis dieser Sophien-Verehrung ist ihr heiliger Schrein — die im sechsten nachchristlichen Jahrhundert erbaute Hagia Sophia in Istanbul, die zu den sieben Weltwundern zählt.

Die römischen Christen waren von diesem wunderbaren Monument für die Große christliche Göttin in Istanbul so peinlich berührt, dass sie behaupteten, es sei einer St. Sophia, einer der vielen „Jungfrau-Märtyrerinnen“ geweiht.

Und jetzt kommen wir zur „Eisheiligen“, denn just diese Sophia ist in frommen Schriften und Bauernkalendern die Vorlage für die „kalte Sopherl“.
Doch das ganze hat einen Haken:
Üblicherweise gibt es zu all diesen Märtyrerinnen ausführliche Legenden, die ihre Herkunft, den Grund und die Methode der Folter in drastisch-grausamer Weise beschreiben. Zu dieser Santa Sophia findet man allerdings nur einige spärlichen Angaben, sodass man davon ausgehen kann, dass hier schnell eine erfundene Märtyrerin aus dem Hut gezaubert wurde, damit die Größe der alten Göttin nicht erkannt werden kann.
Diese Märtyrerin Sophia soll angeblich um 304 während der Diokletianischen Christenverfolgung das Martyrium erlitten haben. Mehr ist von ihr nicht bekannt.
Wie gesagt: Sehr unüblich. Denn gerade die blutrünstigen Folter-Protokolle sind ja das, was die Christen und ganz speziell die Katholiken so erfreut.
Die Heiligenvita der St. Sophia von Rom wird meist auch mit jener der heiligen Sophia von Mailand vermischt. Diese war eine wohlhabende Witwe, die sich nach dem Tod ihres Mannes nichts sehnlicher wünschte, als in Rom das Martyrium zu erleiden. Auch ein interessantes Lebensziel. Immerhin wurde sie damit zur „Schutzpatronin der Witwen und Helferin in Not und Bedrängnis“.
Naja, ich hab die Logik hinter diesen Zuständigkeiten von katholischen Heiligen nie ganz verstanden.

Beendet die Kälte – bringt den Frühling

Die andere Sophia — die mit der spärlichen Märtyrerinnen-Geschichte — wird im frommen katholischen Brauchtum gegen Spätfröste, für das Gedeihen der Feldfrüchte und reiche Ernten angerufen. Und sie erscheint uns am 15. Mai als „Kalte Sophie“, als letzte der „Eisheiligen“. Irgendwie auch unlogisch, dass die, die Kälte bringt, uns vor Frösten beschützen soll.
Viel logischer: Da schimmert wieder Sophia, die „Heilige Geistin“ ganz eindeutig durch.
Diese steht natürlich als Schöpfungsgöttin nicht nur für die ursprüngliche große Weltenschöpfung sondern auch für die „ganz normale Schöpfungskraft“, die ja ständig stattfindet.
Und daher bringt Sophia auch die Pflanzen und Feldfrüchte und damit Nahrung für die Menschen. Und in ihrem Interesse ist es wohl, dass es es gute Ernten gibt und die Kälte im Frühling den aufblühenden Pflanzen nicht zusetzt.
Dass der Tag der Eisheiligen zeitlich nahe an Pfingsten — heuer genau am Pfingstsonntag — liegt, kommt ja sicher auch nicht von ungefährt.

Laut Bauernregel wird das milde Frühlingswetter erst mit Ablauf der „Kalten Sophie“ stabil. Sie zieht also einen Schlussstrich hinter das kalte Wüten von Pankratius, Servatius, Bonifatius. Und ist damit auch eine Frühlingsgöttin.

Hier gibt es ausführliche Infos zu Sophia, der „Heiligen Geistin

Mehr zu den anderen erwähnten Göttinnen:
Anahita
Aphrodite
Astarte
Ischtar
Eurynome
Venus

Bilder: artedea, wikimedia commons

 

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