Die Festnacht auf den 1. Mai habe ich gestern in einer größeren Runde gefeiert, mit lieben Menschen, von denen ich viele noch nicht kannte.
Wir haben Feuer gemacht und zwar in der Weise, dass jede für sich erst einmal am Rand des Feuerplatzes ein kleineres Feuerchen vorbereitet und es dann mit einem Herzenswunsch für sich und die Welt entfacht hat.
Aus diesen vielen kleinen Funken und Impulsen ist schließlich ein großes gemeinschaftliches Feuer entstanden, das uns in dieser noch kühlen Nacht gewärmt hat und in dem wir so manches, das der Vergangenheit angehört, transformiert haben. Dann haben wir uns unsere Wünsche für eine fried- und liebevolle Zukunft rund um das Feuer ertanzt.
Die kritische Masse tanzt ums Feuer
Anschließend bei Schmaus und Trank – auch das gehört zu einer sinnlichen Nacht hinein in den 1. Mai dazu – einige sehr interessante Gespräche mit kritischen Fragestellungen:
Was tun wir hier eigentlich?
Verändert es etwas in der Welt, die so aus den Fugen geraten scheint, wenn wir hier rund ums Feuer unsere Wünsche aussprechen?
Gegenfrage: Würde sich etwas verändern, wenn wir, diese kleine Gruppe Menschen, hier nicht miteinander feiern und unsere Visionen in die Maiennacht hinausrufen?
Wahrscheinlich (auch) nicht. Also können wir es auch tun. So unter dem Motto: Nutzt es nix, dann schadet es auch nicht.
Aber dann kam ein interessanter Aspekt dazu. Es geht um die sogenannte „kritische Masse“: Um eine neue Meinung, neue Verhaltensweisen und ein neues Paradigma zu etablieren, reicht eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Menschen, eine „kritische Masse“, die nach dem heutigen Stand der Wissenschaft bei etwa 5-10 Prozent zu liegen scheint. Ich habe ein wenig recherchiert und dazu diesen interessanten Artikel gefunden.
Wenn wir davon ausgehen, dass wir hier in diesem Garten im Wienerwald nicht alleine sind, dass rund um den Erdkreis in dieser Nacht Frauen und Männer die Lebenslust feiern, Wünsche etablieren, im Feuer all das transformieren, was schon lange unaktuell ist, dann könnten wir diese kritische Masse sein, die ein neues Paradigma entfachen.
Holen wir uns die Nacht zurück
Ein sehr gutes Beispiel dafür, was eine kleine Gruppe an Frauen verändern kann, lieferte die „Neue Frauenbewegung“ der 70-er-Jahre des 20. Jahrhunderts: Sie hat genau diese sogenannte Walpurgisnacht wieder als starke Machtdemonstration aufleben lassen.
Ausgegangen ist diese Initiative von italienischen Feministinnen.
Sie hatten sich einst für das Scheidungsgesetz engagiert und waren dann die treibende Kraft für das 1978 verabschiedete liberale Abtreibungsgesetz.
Ausgehend von einer kleinen Gruppe engagierter Frauen wurden es mehr und mehr und schließlich zogen damals zehntausende Frauen durch die Straßen und riefen als Herausforderung an die Männer und Machthabenden:
„Tremate, tremate, le streghe son tornate“
zu deutsch:
„Zittert, zittert, die Hexen sind zurück.“
Ausgelöst von den aufgebrachten und durchsetzungskräftigen Italienerinnen sind darauf hin in den beginnenden 70-er-Jahren Frauen in vielen Städten mit dieser Parole durch die Straßen gezogen.
Es ging ihnen vor allem auch darum, sich die „Nacht zurückzuholen“.
Denn „anständige Frauen“ haben in der Nacht draußen nichts verloren – so war noch die moralische Einstellung in der damaligen Zeit. Und gerade die Nacht, mit ihrer Stille und Dunkelheit, mit ihren Geheimnissen und mit der Gelegenheit, durchzuatmen und die Natur ganz pur zu spüren, ist die beste Zeit für Frauen, um ganz zu sich zu kommen oder sich mit anderen Frauen zu treffen. So wie sie es vermutlich schon seit langer, langer Zeit in diesen Maiennächten taten, so wie wir es tun und so wie es (hoffentlich) die zukünftigen Generationen tun werden, um die starke Frauenkraft zu feiern, die gemeinsam so viel bewirken kann.
Hiermit ein großes „Danke“ an unsere italienischen Ahninnen und an die sogenannte „Neue Frauenbewegung“ aus den 70-er-Jahren. Vieles, was damals von unerschrockenen, klugen Frauen erkämpft wurde, ist heute für uns völlig selbstverständlich.
Und so hoffe ich, dass vieles, was wir uns in der vergangene Nacht gewünscht haben, sich auch verwirklichen möge und ganz selbstverständlich wird.
****************
Bild: KIRKE – auch eine „Hexe“
Mehr zur „Walpurgisnacht“ findet sich in diesem artedea-eBook: