Eine Märtyrerin im „Lock-Down“ oder die Geschichte der Heiligen Barbara

Ich komme mir vor, als wäre ich ein Kind und habe Hausarrest, sagte unlängst eine Freundin, mit der ich eine längere zoom-Plauderei hatte, in der wir natürlich auch über den Lock-Down sprachen. Eingesperrt ohne eigentlich zu wissen, was ich angestellt habe.
Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit rüttelt heftig an unseren Grundrechten.
Es geht hier nämlich um die Urlust der Menschen: Wenn wir kleine Kinder beobachten, dann sehen wir, wie sich meist Freude mit Stolz paart, wenn sie beginnen, sich zu bewegen. Wenn sie zum ersten Mal selbstständig vom Bauch auf den Rücken und wieder zurück rollen, wenn sie krabbeln, um Distanzen zu überwinden, wenn sie laufen lernen und damit anfangen, ihre Umgebung zu erforschen. Sie entdecken durch die Fortbewegung die Welt und ihre Selbstständigkeit. Sie können mit allen anderen aus eigenem Antrieb in Kontakt kommen, das soziale Leben beginnt.
Deswegen waren wir als Kinder so empört oder beschämt, wenn wir in unser Zimmer geschickt wurden oder Hausarrest aufgebrummt bekommen haben.

Geborgen und beschützt oder eingesperrt und bedroht?

Warum schreibe ich all das heute, am 4. Dezember? Weil es heute auch um die Geschichte einer Eingesperrten geht. Denn in der katholischen Welt ist Barbara-Tag. Einer in einem Turm eingesperrten Märtyrerin.
Ihr Ursprung liegt – wie eigentlich bei allen katholischen weiblichen Heiligenfiguren – bei einer alten Göttin: Borbeth.
Als eine der „drei Bethen“ ist Borbeth die keltisch-alpenländische Göttin des Heilens und der Geborgenheit, sie ist gleichzeitig Bergmutter, Sonnen- und auch Todesgöttin.
Der Name Borbeth entstammt in seiner ersten Hälfte wahrscheinlich dem keltischen Stammwort „borm“, dies ist auch der Wortstamm für „warm“, „wärmen“. Sie repräsentiert den Aspekt des bergenden wohligen Beschützens, den wärmenden Schoß der Erdmutter.
Borbeth
wird oft mit einem Turm dargestellt. Der Turm, der eine starke, beschützende Festung ist, in die man sich zurückziehen kann und darin in Sicherheit, also geborgen ist.  Ihr Symbol, der Turm gilt auch als Zugang zur „Anderswelt“. Daher wird sie  auch von Bergleuten um Schutz ersucht.

Das ist der positive Aspekt dieses Turms.
Der katholischen Kirche ist es allerdings gelungen, diesen mit einer schrecklichen Bedeutung zu belegen, nämlich mit einem Gefängnis.

Die Umdeutung der Attribute

Die Drei Bethen hatten ja eine starke Verankerung im keltischen und alpenländischen Volksglauben.
Im Zuge der Christianisierung, die die alten Muttergottheiten und deren Verehrung ja nicht einfach ausradieren konnte, wurden sie zu „Heiligen“ umgewandelt.

Diese Heiligenumwandlungen mussten immer nahe bei der Erscheinungsform der Ursprungsgöttin bleiben, damit die Menschen die neuen Heiligen auch akzeptieren. Daher hatten auch die sogenannten „Heiligen Drei Madln“ sehr ähnliche Attribute wie die alten Bethen. Bei der Umwandlung der Borbeth in die Figur der heiligen Barbara, die natürlich historisch in keinster Weise nachzuweisen ist, musste der Turm erhalten bleiben. Dies aber nicht als schützender Ort oder gar als Eingang in die „Anderswelt“. Er wurde mit einem anderen Bedeutungsinhalt belegt: Da gab es einen Vater, der natürlich ein „böser Heide“ war. Dieser ließ seine Tochter in ein uneinnehmbares Turmverließ sperren, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt Christin zu werden. Es folgt eine wilde Folter- und Tötungsgeschichte, ganz nach dem perversen Geschmack des katholischen Christentums. Denn: Wer heilig werden soll, muss vorher schon richtig leiden!

Wen es interessiert: Die Attribute ihrer Kolleginnen Wilbeth und Ambeth wurden ebenfalls mit grauenhaften Bedeutungen versehen: Das Lebensrad der Wilbeth wurde für ihre christliche Nachfolgerin Katharina zu einem schrecklichen Marter-Instrument: Sie wurde auf’s Rad geflochten.
Ambeth als Personifizierung der mütterlichen Erde wird meist mit einem Drachen dargestellt, der in vielen Mythologien für die Erdkraft steht. Sie steht auch für das ewige, sich immer erneuernde Leben, das sich auch in der (spiralenartig dargestellten) Schlange zeigt, die Ambeth begleitet. Diese Schlange der Urmutter wurde im Rahmen der Christianisierung von Ambeth zur Heiligen Margarethe, zum einschlägig bösen Drachen, der sie verschlingt.

Zurück zu Borbeth/Barbara: Wir kennen ja alle diesen Brauch mit den Barbarazweigen am 4. Dezember.
Woher stammt er?
Der frommen Legende nach soll sich auf ihrem Weg zum Turmverließ ein dürrer Kirschbaumzweig im Kleid der Barbara verfangen haben. Diesen habe sie mit Wasser aus ihrem Krug versorgt. Am Tag ihrer Hinrichtung blühte der Zweig auf.
Im christlichen Sinn ein Zeichen für ein Leben nach dem Tod der Heiligen Barbara.
Im Sinne der zyklischen Kraft der Muttergöttin Borbeth ein Zeichen für die Wiederkehr des Lebens nach dem Winter.
Wie dem auch immer sei: Es ist ein schönes Symbol, dass es in noch so großer Enge und Bedrohung etwas gibt, das ein Signal der Hoffnung sein kann.

Was raubt uns die Freiheit?

Ich tausche mich zur Zeit viel mit meiner 89-jährigen Mutter aus in diesen Tagen. Wir sprechen über alles mögliche, auch darüber, was der Lockdown für die Menschen so mit sich bringt. Neulich sagte sie zum Thema Schulschließungen: „Wir konnten im 45-er-Jahr auch ein halbes Jahr nicht in die Schule gehen. Wir sind in der Zeit aber im Winter in Todesangst im kalten Luftschutzkeller gesessen.“ Sie war damals 14 Jahre alt.
Da beginnen wir doch einiges zu relativieren.

Und dann möchte ich auch noch den Wiener Psychiater Viktor Frankl zitieren. Er überlebte während des Zweiten Weltkriegs vier verschiedenen Konzentrationslager, darunter Auschwitz. Einer seiner bekanntesten Aussprüche über das, was ihm Kraft während seiner KZ-Inhaftierung gegeben hat, ist:
„Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“

Das sind alles Themen, die heuer für mich am 4. Dezember, dem Barbara-Tag mitschwingen. Ich persönlich werde jedenfalls in diesem denkwürdigen Jahr 2020 meine Barbara-Zweige mit einer ganz anderen Einstellung als all die Jahre zuvor schneiden und in die Vase stellen.

************

Anmerkung: Es gibt einen neuen artedea-Rauhnächte-eWorkshop:

Mit der Magie der Zahlen durch die Rauhnächte

Im Modul 4 der 4. Rauhnacht behandle ich ausführlich das Thema des Turms, in dem wir entweder sicher oder gefangen sind.

************

Mehr Lesestoff und Informationen
zu den Rauh- und Sperrnächten:

eBooks:

„​Die Magie der Sperr- und Dunkelnächte
„​Julfest – Das Fest des wiederkehrenden Lichts“
„​Von den rauen Nächten und der Wilden Jagd“
„​Das Weizenorakel der Sancta Lucia” – gratis Download
„​Geschichten vom Weihnachtsmann,
Muttergöttinnen, Schamanen und Rentier-Damen”
 – gratis Download
„Magische Misteln”

artedea-Rauhnächte-eWorkshops:

Mit starken Frauensymbolen durch die Rauhnächte

„Mit Göttinnen-Kraft durch die Rauhnächte“

Mit der Magie der Zahlen durch die Rauhnächte

************

Mehr Informationen zu den erwähnten Göttinnen:
Ambeth
Borbeth
Drei Bethen
Wilbeth

************

Bildquellen:
Borbeth, Bethen – artedea.net
natural-4088906_1920 / Santa3 – pixabay.com

Dieser Beitrag wurde unter Göttinnen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Eine Märtyrerin im „Lock-Down“ oder die Geschichte der Heiligen Barbara

  1. Pingback: Eine Märtyrerin im „Lock-Down“ oder die Geschichte der Heiligen Barbara | Oh Göttin – Kon/Spira[l]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert