Das hab ich ganz verpasst. Gestern war internationaler Girls‘Day, der 20. sogar.
Da ist es ja üblicherweise so, dass der weibliche Nachwuchs – frei von Geschlechterklischees – Einblicke in Ausbildungen, Studiengänge und Berufe in Handwerk, Industrie, Technik, Informatik und Wissenschaft erhalten soll. Da geht dann schon mal die Tochter raus mit Papa in die raue Wirklichkeit der Werkstätten und Fabrikshallen oder auch nur an den Schreibtisch im schicken Architekturbüro. Rausgehen ist heuer nicht angesagt, weil man zum einen die, die „draußen“ arbeiten, ohnehin nicht begleiten darf. Zum anderen weil die Mädls Papa im Homeoffice eh die ganze Zeit beobachten können.
Frauen erhalten das System
Jetzt haben wir auch schon die ganze Zeit Boys’Day oder Husbands’Day, weil die Herren und Söhne der Schöpfung vielfach erstmals mitbekommen, dass sich das „bisschen Haushalt“ auch nicht von alleine macht.
Also, worum geht es beim Girls’Day? Er soll junge Frauen dazu ermutigen, Berufe zu ergreifen, die bislang Männerdomäne sind. Vielleicht wäre es jetzt auch einmal wichtig, die ganze Sache umzudrehen. Warum eigentlich sollen immer Frauen proaktiv etwas machen?
In Zeiten der Corona-Krise sind es vor allem die Frauen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Im Auftrag der deutschen Bundesagentur für Arbeit wurde 2019 eine Erhebung gemacht, die besagt, dass in den Berufen, die jetzt am dringendsten benötigt werden, um die Gesellschaft am Laufen zu halten, überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind.
Frauen sind die eigentlichen Systemerhalterinnen. Berufsgruppen, die existentielle Lebensbereiche betreffen, sind überwiegend weiblich.
Der österreichische Markt ist ähnlich dem Deutschen: Im Gesundheits- und Sozialwesen sind 77 Prozent der Beschäftigten weiblich, im Einzelhandel sind es 74 Prozent und in der Reinigung und Hausbetreuung 63 Prozent. Im übrigen sind auch Menschen mit Migrationshintergrund in diesen Berufsfeldern deutlich überrepräsentiert.
Und genau diese Berufsgruppen werden notorisch schlecht bezahlt.
Dass aktuell genau diese Berufsgruppen endlich vermehrt Aufmerksamkeit erhalten, mag eine der Chancen der Krise sein. Die sich hoffentlich auch positiv auf die Einkommensverhältnisse auswirken wird.
Und wenn das Einkommensniveau steigt, dann steigt damit auch das Interesse der Männer, in diese Berufe einzusteigen.
Und das gar nicht, weil Männer sich vielleicht zu gut für diese Tätigkeiten und Berufe sind, sondern weil in unserem patriarchalen System immer noch so tief verankert ist, dass der Mann das Geld heimbringen muss, damit die Frau Kinder und Haushalt versorgen kann und vielleicht die Haushaltskasse noch mit einem Teilzeitjob aufbessert. Was sich dann für viele Frauen tragisch im Alter auswirkt, weil sie zu wenig in das Pensionssystem eingezahlt haben und sich an oder unter der Armutsgrenze befinden, wenn der Göttergatte schon längst das Weite gesucht hat.
Ich erinnere mich noch gut an die Erzählungen meiner Großmutter, die von den Trümmerfrauen berichtet haben, die den wesentlichsten Beitrag dazu geleistet haben, dass nach dem 2. Weltkrieg alles wieder aufgebaut werden konnte.
Tja, seufzte sie: Die Männer waren ja alle Soldaten und so viele von ihnen sind im Krieg geblieben. 2020 helfen Soldaten aus, um die Regale der Supermärkte wieder voll zu kriegen. Schon seltsam diese Welt, oder?
Und übrigens sind nicht nur draußen im öffentlichen Leben Frauen die Systemerhalterinnen, das spielt sich im Mikrokosmos jeder Familie ab. Und nicht nur, wenn wir Corona-bedingt alle daheim hocken.
In Österreich sollen jetzt die Supermarkt-Angestellten eine Sonderprämie in Form eines steuerfreien Monatsgehaltes bekommen. Eh schön! Aber eine Symptom-Bekämpfung, das packt das Problem nicht an der Wurzel an. Wie wäre es mit einer 30-Stunden-Woche bei dem Lohn, den sie jetzt für 40 Stunden bekommen?
Keine Rückkehr in traditionelle Rollen!
Was es jetzt braucht, sind „alternative“ Lebens- und Familienkonzepte. Wir sind ja alle gespannt, wie das Leben nach Corona aussehen wird, welche Veränderungen die Zeit bewirken wird. Eine Rückkehr in traditionelle Rollen wäre mehr als unangebracht.
Nochmals zurück zum Girls’Day. Ich habe es immer unterstützt, dass sich junge Frauen in ihrer Berufswahl nicht einschränken lassen dürfen. Dass ihnen alle Möglichkeiten offen stehen sollen.
Erweitern wir dies aber einfach: Allen sollte alles offen stehen, bei gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit beginnt es, es setzt sich fort bei angemessener Bezahlung für die Berufe, die so wichtig für die Systemerhaltung sind.
Und sehr wesentlich: Wir brauchen ein Gesellschaftssystem, bei dem es allen klar ist, dass alle auch innerfamiliär ihren Beitrag zu leisten haben und das nicht nur, indem sie das Geld nach Hause bringen. Das funktioniert in einigen Familien eh schon ganz gut, da muss gesellschaftpolitisch aber noch sehr viel aktiv getan werden.
Damit würden sich auch alle zukünftigen Girls’Days erübrigen!
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Bildquellen:
grimace-1012862_1920 / FotoRieth
Grafik: https://de.statista.com/infografik/21148/anteil-der-sozialversicherungspflichtig-beschaeftigten-nach-wirtschaftszweigen/?fbclid=IwAR3dSIvqgJACCqDQLykh91ONyWYG4l5OqqTJ5VQhYZy01Q2kYRuqglCVLlI
Danke für den schönen Beitrag! Ich stimme voll und ganz zu. Wir sollten nach der Bewältigung der Coronakrise nicht einfach zurück gehen, sondern auch gesellschaftlich daraus lernen.
Ich merke das gerade auch bei der Verunsicherung, ob ein Vater mit in den Kreißsaal darf. Auch da merken wir wieder, welche Werte uns eigentlich wichtig sind.