Zu Ehren der Friedensgöttin Pax weihte Augustus am 30. Januar im Jahre 9 v.u.Z. den „Altar des Friedens“ auf dem Marsfeld in Rom. Die Friedenssehnsucht der Bevölkerung Roms war nach langem Bürgerkrieg groß und daher erfreute sich Pax als vergöttlichte Personifikation des Friedens großer Beliebtheit.
Priesterinnen gaben darauf hin immer am 30. Januar vor dem Altar des Friedens die Namen derer bekannt, die keinen Frieden wollten. Dadurch, dass ihre Namen öffentlich genannt wurden, fielen sie in Ungnade.
Ist Pax patriarchal?
Für mich ein Anlass, über die Mission der Göttin Pax nachzudenken – mehr als 2.000 Jahre nach der Errichtung ihres Altars im Alten Rom.
Und da lese ich in Wikipedia unter dem Titel „Frieden“ gleich einmal folgenden erstaunlichen Satz:
„Ursprünglich scheint der Friede nirgends als Normalzustand angesehen worden zu sein. Er musste ‚gestiftet‘ werden.“
Das passt gut zur Göttin Pax. Den auch der Wortstamm „pactum“ in ihrem Namen verweist darauf, dass Pax in römischer Auffassung nicht ein bloßer Nicht-Krieg war, sondern stets das Ergebnis eines Vertrages.
Die Göttin ist daher auch die Mutter aller großen und kleinen Friedensverträge.
Frieden oder Krieg – was ist der „Normalzustand“?
Doch: Ganz wichtig – wir befinden uns hier im Römischen Reich und damit in einer bereits zutiefst patriarchalen Ära der Menschheitsgeschichte!
URSPRÜNGLICH – und damit meine ich wirklich „ursprünglich“ -scheint ein friedliches Zusammenleben der Normalzustand gewesen zu sein.
Das beweisen eindrücklich archäologische Erkenntnisse:
Die Menschen in Çatal Hüyük in Ostanatolien schienen 1200 Jahre lang in Frieden, Gleichberechtigung und Gewaltlosigkeit miteinander gelebt zu haben. Friede im Großen und auch im Kleinen – also in den Familien und im menschlichen Zusammenleben. Bei Ausgrabungen fand man keine Stadtmauern oder Befestigungsanlagen, die bestatteten Menschen weisen keinerlei Gewaltanwendung auf.
Die Gemeinschaft Çatal Hüyüks vor rund 9.000 Jahren „funktionierte“ matrilinear und matrilokal. Das war so nicht „geplant“ – diese Lebensweise entspricht der menschlichen Natur, wie sie seit 200.000 Jahren gelebt wurde.
Das Patriarchat, das wir heute fast weltweit vorfinden, war noch nicht durchgesetzt. Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist es immer wieder zu betonen: Matriarchat ist nicht die Umkehrung von Patriarchat – also so etwas wie „Frauen-herr-schaft“. Allein dieses Wort wäre schon unsinnig und ein Widerspruch in sich.
Çatal Hüyük war herrschaftsfrei, d.h. die Menschen lebten in Konsens-Gemeinschaften statt in einer Gesellschaft. Das äußert sich auch darin, dass die Häuser alle sehr ähnlich sind und es keine Belege für Sonder- oder öffentliche Gebäude gibt – kein Rathaus, kein Gemeindeamt, keine „Prachtvillen“ der „oberen 10.000“.
Sehr ähnlich in der minoischen Kultur, die sich mit Kreta im Zentrum über den gesamten ägäischen Mittelmeerraum erstreckte: Der Palast von Knossos war völlig unverteidigt von Befestigungsanlagen. Auf den zahlreich noch erhaltenen Wandgemälden fand man keinerlei kriegerische Darstellungen. Das lässt auf eine Kultur ohne Kriegs- und Eroberungsabsichten schließen.
Auch wenn uns die von Männern geschriebenen Geschichtsbücher es uns anders vorgaukeln wollen: Auch diese Kultur war matrilinear und matrilokal. Bekannt ist hier z.B. Pasiphaë, die in der patriarchal geprägten Geschichtsschreibung immer wieder als „Gemahlin von König Minos“ beschrieben wird. Die gut erhaltenen Figurinen aus dieser Zeit, wie die der Schlangengöttin schreiben eine andere Geschichte und zeigen sehr eindrücklich die Würde und das Ansehen der Frauen.
Sprung in die Neuzeit: Heute gibt auf dieser Erde ständig rund 40 bis 50 Kriege und bewaffnete Konflikte. Die Zahl ändert sich seit Jahrzehnten kaum.
Wobei es den „klassischen Krieg“ kaum noch gibt. Denn dieser hatte einen Anfang – die Kriegserklärung, und ein Ende – den Friedensvertrag. Dazwischen wurde gekämpft. Dabei hielten sich die kriegsführenden Parteien mehr oder weniger an bestimmte Regeln, so genannte Konventionen.
Heute finden Kriege ohne Regeln und oft mit äußerster Brutalität statt. Und die Kriegsparteien sind nur noch selten Staaten, sondern immer häufiger ethnische oder religiöse Gruppierungen, Terroristen und Privatarmeen oder Milizen.
Und oft ist nicht ganz klar: Wer kämpft da eigentlich gegen wen? Und warum?
Da hat dann auch die ohnehin schon sehr patriarchal geprägte Göttin Pax nicht mehr viel auszurichten.