„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, so lesen wir es in der Bibel bei Johannes 1,1-2
Wenn wir uns mit feministischer Sprache beschäftigen, dann geht es um Worte und damit auch um dieses eine Wort, dass da bei Gott war.
Und daher wollen wir uns doch einmal genauer anschauen, was uns die patriarchale Religion da vermitteln will.
Was war am Anfang? Ein Wort?
Was kommt vor jedem Wort, das ausgesprochen wird?
Richtig: Die Stille! Und hui – schon sind wir wieder bei einer Göttin, genau genommen bei zwei: Sige und Sophia.
Die gnostische Göttin Sige ist die personifizierte große, unendliche Stille des Universums. Die Kraft der Sige beherrscht nach wie vor das gesamte Weltall, nur in diesem winzigen Staubkorn Erde ist es nicht still.
Die große Stille hat ausgeatmet
Sige ist einer jener Ursprungsgöttinnen, die das Chaos am Anfang aller Dinge bzw. die völlige Nicht-Existenz des Universums verkörpert. Sie ist das Schweigen, aus der die gesamte Schöpfung hervorgegangen ist.
Dann „gebar“ sie das erste „Wort“ – den Logos der Schöpfung. Und alles nahm seinen Anfang.
„Gebären“ ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck, denn die große Stille hat ausgeatmet und damit einen Klang hervorgebracht. Dieser wird fälschlicher Weise oft auch als „Wort“ übersetzt.
Die GnostikerInnen sehen Sige als die Mutter von Sophia, der Göttin der Weisheit.
Und damit wird Sophia auch als das erste Wort – als „Logos“ der Schöpfung verstanden.
Sophia wird von JüdInnen und gnostischen ChristInnen als allumfassender Geist, als Schöpferin allen Lebens verehrt. Sophia ist der Anfang der Schöpfung, die uralte biblische „Frau Weisheit“, die „Heilige Geistin“, jene göttliche Kraft also, die vor allem anderen bereits da war, die weibliche Seele Gottes, die Quelle der Kraft.
So, damit hätten wir also lange vor dem Wort die Stille, dann den Klang und aus diesem formte sich das „Wort“.
Und wichtig: Dieser Klang war noch rein und ohne Bedeutung und er verbindet alles mit allem.
Erst mit dem „Wort“ beginnen wir zu werten, es kann unterschiedlich interpretiert werden, aus dem Zusammenhang gerissen werden, zu Missverständnissen führen, als Machtmittel eingesetzt werden. Das hat „Gottvater“ auch bald einmal erkannt. Vorerst hat er ja den Menschen sogar „einerlei Zunge und Sprache“ in den Mund gelegt, heißt es bei Mose. Aber als die Menschen der Größenwahn packte und sie damit anfingen, den Turm zu Babel zu bauen, zürnte Gott und hat kurzerhand aller Länder Sprache „verwirrt“.
Das Bedeutungsspektrum von „lógos“
und die simple Bibelübersetzung
Kommen wir nochmals zum sogenannten „Anfang“ und diesem allerersten „Wort“.
Dazu nochmal das ausführliche Bibelzitat:
„Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“
Und wie so oft müssen wir auch hier die Bibelübersetzung genau unter die Lupe nehmen: In der viel älteren griechischen Fassung der Bibel wird nämlich für „das Wort“ der Ausdruck „lógos“ verwendet – und dieser hat keineswegs nur eine Bedeutung sondern viel mehr ein breites Bedeutungsspektrum.
Lógos kann für die Rede und den Sinn, für das geistige Vermögen bis hin zum Gesamtsinn der Wirklichkeit gelten.
Ein einschlägiges Wörterbuch bietet u. a. folgende Übersetzungen an:
Sprechen, das Sagen, die Rede, mündliche Mitteilung, Wort, Erzählung, Darstellung, Nachricht, Gerücht, Kunde, Botschaft, (grammatikalischer) Satz, Grundsatz, Ausspruch Gottes (NT), Befehl (NT), Weissagung (NT), Lehre (NT), Erlaubnis zum Reden, Beredsamkeit, aufgestellter Satz, Behauptung, Lehrsatz, Spruch, Definition, Begriffsbestimmung, wovon die Rede ist, Sache, Gegenstand, das Berechnen, Rechenschaft, Rechnung, Beschluss, Rücksicht, Wertschätzung, Verhältnis, Denkkraft, Vernunft.
Warum blieb am Ende in der Bibel (in der Übersetzung wie wir sie kennen) nur der Begriff „Wort“ übrig?
Die Welt wurde aus einem Klang erschaffen
„Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott“
Was oder eigentlich wer war da von Anfang an bei Gott?
Wer die Bibel genau liest, erkennt recht schnell: Es war Sophia, die „heilige Geistin“, die weise Göttin des ersten „Wortes“, des ersten Klangs der Schöpfung.
Auch die Mythen vieler anderer Völker erzählen: Die Welt wurde aus einem Klang erschaffen und in diesem liegt die ganze Wahrheit und Weisheit.
Dieser Klang hallt wie ein Echo immer noch nach und nach und nach. (Die griechische Göttin Echo ist die Stimme der Schöpfung …)
Der Klang ist die Urform und besteht aus reiner Schwingung – das primär gefühlte Prinzip allen Seins. Ein Kind im Mutterleib vernimmt den Klang, nicht die Worte.
Nach wie vor ist ganze Weltall von dieser reinen großen Urschwingung durchzogen, die alles mit allem verbindet, jedes Lebewesen trägt seine eigene Schwingung, genauso wie jedes Naturelement, jede vermeintliche Materie.
Nicht von ungefähr wird dieser uns alle verbindende Klang mit weiblichen Göttinnen assoziiert.
Wer hingegen das „Wort“ kreiert, gibt damit die Richtung an und hat damit auch die Deutungsmacht. Und das muss in einer patriarchalen Religion natürlich auch der männliche Obergott sein, auf den sich dann alle Männer berufen können, die wollen, dass ihr „Wort“ etwas gilt.
Dass die Göttinnen Sige und Sophia mit ihrer Stille, ihrem Klang und ihrer Weisheit sehr gezielt in Vergessenheit geraten sind, ist weiter nicht verwunderlich.
Die Worte der männlichen Götter in den Heiligen Schriften
Wieviele Worte gibt es in den „Heiligen Schriften“ und wie sind diese interpretiert, wozu sind diese herangezogen worden?
Einen wunderbaren Video-Clip, der sehr gut und höchst unterhaltsam den Unterschied zwischen Worten und Klang zeigt gibt es hier:
[vimeo 256005837 w=640 h=360]
Paroles Paroles from Nina Paley on Vimeo.
Nun genug der Worte verloren.
Wie wäre es, wenn du dich – nachdem du diese Zeilen fertig gelesen hast – einfach mal kurz aufrecht hinsetzt, eine Zeit lang der Stille lauscht, deinen inneren Klang spürst und diesen zum Ausdruck bringst.
Ausführliche Informationen zu den erwähnten Göttinnen:
Echo
Sige
Sophia
Deine Ausführungen machen meiner Ansicht nach deutlich, dass die Stille, von der du behauptest, dass sie den eigentliche Anfang repräsentiere, genauer genommen VOR dem Anfang (vor der Schöpfung) liegt.