1. November – die Regentschaft der Cailleach beginnt

Am 1. November beginnt in den keltischen Mythen die Regentschaft von Cailleach.
Ursprünglich war Cailleach eine keltische und schottische Göttin des Todes, des Krieges, der Zerstörung, Vernichtung, des Winters und der weiblichen Souveränität.
Ihre Faszination und ihre Macht waren aber so groß, dass sie zur Großen Göttin der britischen Inseln, zur kosmischen Göttin von Erde, Himmel, Mond und Sonne wurde.
Cailleach ist eingebettet in eine Göttinnen-Triade, die so gut wie fast keine andere der vielen dreifachen Göttinnen die zyklische Kraft der Jahreszeiten und damit der Natur versinnbildlicht:
Das „keltische Jahr“ beginnt mit dem Winter und damit mit Cailleach. Das entspricht alten matriarchalen Traditionen, in denen z.B. auch der Tag mit der Nacht beginnt, die dunkle Erdenkraft, aus der alles sprießt vor der Helligkeit gereiht wird.
Das ist nur allzu logisch: Kommen wir doch alle aus der Geborgenheit eines dunklen Mutterschoßes.

Zyklus alles Seins

Nun also – in der Nacht vom Oktober auf November – beginnt zumindest gefühlsmäßig der Winter, die kalte und dunkle Zeit.
Die Sommer- und Fruchtbarkeitsgöttin Modron legt zu diesem Zeitpunkt ihre Zauberrute unter einen Holunderbusch, wäscht sich in einem Becken und wird zur Cailleach. Diese ist dann die Gebieterin der dunklen Monate.

Sie beendet ihre Regentschaft, indem sie selbst die Schlange weckt, die einerseits das Symbol für Zerfall wie auch für den Erdgeist und die Naturkräfte des Wachstums und für Erneuerung steht. Diese Schlange beendet im Februar, spätestens im März den Winter.
Cailleach legt dann wiederum die Zauberrute unter einen Hollerstrauch und verwandelt sich in einen Stein.
Die Göttin Brigid nimmt den Stab auf und es wird mit den ersten Schneeglöckchen Frühling. Sie gebietet über den Frühling und das Blühen und verwandelt sich mit den ersten reifen Früchten im Mai zu Modron, die ihre Fruchtbarkeit auslebt, bis diese wieder Anfang November zu Cailleach wird.
Oft ist in den Mythen auch von der dreifachen Cailleach die Rede, die den Zyklus allen Seins widerspiegeln: Den der Zerstörung, jenen der Erneuerung sowie den des Wachstums bzw. der Reife.

„Hexenbesen“ als Zepter

Interessant scheint in dieser Geschichte auch der Stab bzw. die Zauberrute – eine Art Zepter, das als Zeichen der Regentschaft weitergereicht wird.
Diese „Zauberrute“ mit dem Namen slachdan gibt der dreifachen Cailleach die Macht über das Wetter, damit dirigiert sie die Jahreszeiten und die Elemente.
Sie ist wahrscheinlich auch das Vorbild für den „Hexenbesen“ , der ja ganz und gar nicht ein eigenartiges Instrument ist, mit denen Frauen durch die Lüfte fliegen, wie es in patriarchal-inquisitorischen Vorstellungen geschieht.
Um es eindeu­tig klar zu stellen:
Auf einem Besen flie­gen­de Hexen hat man we­der früher noch heu­te ge­sehen. Es handelt sich dabei um patriar­chal-inqui­si­tori­sche Phan­ta­sien und Unter­stel­lun­gen, die für viele Frauen höchst ge­fährlich wa­ren (Stichwort: christliche Inquisition).
So ein Stab zwi­schen den Bei­nen einer Frau, auf dem sie noch dazu rei­tet, ist ja schon allei­ne dazu ange­tan, die un­ter­drück­te christliche Lüs­tern­heit mit wil­den Ideen zu beflügeln.
Daher sind auch jene Dar­stel­lungen von auf Be­sen rei­tenden Frauen abzu­leh­nen, wie sie im­mer noch von vielen „mo­der­nen He­xen“ als Sym­bol ver­wen­det werd­en oder auch in der Lite­ra­tur vor­kom­men (z.B. Har­ry Potter oder Bibi Blocks­berg).
Dieses Symbol unter­stützt nach wie vor die ge­zielt lan­cier­ten Bös­artig­keiten all je­ner, die die Frauen­kraft – aus­gedrückt auch durch die ge­mein­sa­men Feste – unter­drücken und aus­rot­ten woll­ten.
Allerdings ist dieser Rute, dieser „Zauberstab“, dieser Besen ein wichtiges Instrument magisch begabter Frauen: Er stellt deren Verbindung zu den Bäumen und Pflanzen dar, ist ein Zepter der Kraft, ein Redestab, ein gutes Wurfgerät, um Gefahr zu vertreiben, ein sehr brauchbares Werkzeug um rituell Altes aus dem Haus zu kehren.

Und der Hexenbesen kann von einer Frau zur anderen weitergegeben werden – wie es auch die Göttinnen Cailleach, Modron und Brigid tun.
Früher – und vielleicht auch noch heute – ist er ein geheimes Symbol, das alle Frauen verstanden haben: Diejenige, die gerade quasi „im Dienst“ ist, stellt ihn als Zeichen dafür vor ihre Haustüre. Damit haben alle anderen Frauen ihre Ruhe. Wenn Frauen also an fremde Orte kommen und ein Quartier brauchen, wenn Nachbarinnen Hilfe brauchen, dann wissen sie, dass diejenige, vor deren Haus der Besen steht sozusagen gerade „on duty“ ist.

Alten Frau mit unstillbarem sexuellen Appetit

Cailleach bedeutet im modernen Gälisch „alte Frau“, doch im ursprünglichen Sinne leitet sich das Wort von „caille, veil, veiled one“ ab, was soviel wie die „Unsichtbare“, „Scheues Glück“ oder auch „die Verschleierte“ bedeutet. Dies bezieht sich offenbar auf das Erscheinungsbild der Göttin als Zukunft, Schicksal und Tod – immer verhüllt vor dem menschlichen Blick.
Ihr Name wird ungefähr wie „Käjach“ ausgesprochen und klingt – korrekt ausgesprochen – wie ein Räuspern. Sie ist der Inbegriff der alten Frau, die sich nicht mehr um Konventionen schert, eigensinnig ist, niemanden mehr zum Gefallen sein will und ihr eigenes Süppchen kocht.
Cailleach wird üblicher Weise sehr hässlich dargestellt: Sie hat nur ein Auge inmitten eines blauschwarzen Gesichts, das mit übermenschlicher Leidenschaftlichkeit funkelt, einen einzigen roten Zahn und weiße, verfilzte Haare, die wie das mit Raureif bedeckte Gestrüpp eines sterbenden Waldes aussehen.
Sie trägt ein graues Kleid und ein verblichenes Kopftuch. Damit stellt sie einen weiblichen Archetyp dar, mit dem sich auch viele Frauen schwer tun. Dennoch hat diese Göttin auch eine ganz andere Seite.
Trotz ihrer Hässlichkeit kann sie immer wieder jugendliche Liebhaber für sich gewinnen, denn sie hat einen unstillbaren sexuellen Appetit. Damit ist sie ein erfrischendes uraltes und gerade wieder sehr aktuelles Vorbild für all jene Frauen, die ihre sexuelle Kraft bis ins hohe Alter bewahren konnten und ausleben wollen.
Offenbar hat Cailleach einen Zauber, mit dem sie – wenn sie will – ihre Jugend und ihre frische und sinnliche Energie ewig erneuern kann.
Ansonsten ist sie mit der Gestalt der „alten Hexe“ sehr zufrieden, was für den Normalalltag sehr entspannend und auch hilfreich sein kann.

Chancen der Transformation

Damit ist sie die Göttin für all jene Frauen, die sich – wenn sie daheim in den Spiegel schauen – alt, hässlich und ganz und gar unattraktiv vorkommen. Diesselben Frauen, die es – oft sogar zu ihrem eigenen Erstaunen – zu Wege bringen, der Außenwelt strahlend, jugendlich und wunderschön entgegen zu treten.
In diesem Sinne treten besonders Frauen mit Cailleach in Verbindung. Es geht immer um ihr ureigenstes Wesen, um ihre Essenz.
Sie verleiht weibliche Souveränität – egal in welcher Lebenssituation sich eine Frau befindet.
Cailleach liebt und behütet ganz besonders zärtlich jene Frauen, die sich karg, alt, hässlich und an den Grenzen des Machbaren oder Erträglichen fühlen, die nicht wissen wie sie (gleich wie im tiefsten Winter) Nahrung für Körper und Seele her kriegen, denen schneidende Winterstürme entgegen wehen, um die herum alles nur mehr dunkel ist.
Das ist die Kraft von Cailleach.
Wenn sich Frauen mit Cailleach verbünden, indem sie diese Kraft der Göttin anerkennen und auch die damit verbundenen Chancen der Transformation sehen, dann nimmt sie Cailleach an der Hand und geleitet sie sicher durch diese Zeit, wie sie ab November die Menschen durch den Winter geleitet.

Es gilt, sich die Kräfte einzuteilen, erfinderisch zu werden, vielleicht einfach nur eine Art Winterschlaf einzulegen und alle (vermeintlichen)Verpflichtungen sausen zu lassen.

Zurück in den Urschoß

Oft wird Cailleach direkt als die alte Erde angesehen.
Die flechtenbedeckten Felsen sind ihr Kopf, die Bergspitzen ihre Brüste und durch ihre oft Vulva-förmigen Höhleneingänge gelangt man direkt in den Bauch der Erdgöttin Cailleach.

Dieser wurde auch als Platz für die keltische „Anderswelt“ angesehen.
Dem Glauben nach kehren die Seelen der Toten in diesen Urschoß zurück.
Dieser tröstliche Gedanke wird auch heute noch – wenn auch in veränderter Form – am 1. November gefeiert.

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Das Fest des Rückzugs und der Stille“
 

 

Weitere Infos zu den erwähnten Göttinnen:
Brigid
Cailleach
Modron

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Bildquellen:
artedea.net
pixabay.com
privat

 

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