Ich mag ihn, den April. Launisch ist er und unberechenbar. Und das passt so gar nicht in unsere patriarchale Welt, in der alles planmäßig verlaufen soll.
Die Bezeichnung dieses Monats leitet sich vom lateinischen „Aphrilis“ ab und – wie der Name schon vermuten lässt – ist er der Göttin Aphrodite geweiht.
Aphrodite kennen wir ja vor allem als Liebesgöttin (obwohl sie eine viel umfassendere Erscheinung ist, als für gewöhnlich über sie bekannt ist).
Als Liebesgöttin aber hat sie jenen Ruf, den auch viele betörende Frauen haben: „Mann“ weiß nie genau, wie er dran ist. Und das ist auch gut so.
Der Zauber des (sich) Öffnens
Kommt doch „Aphrilis“ ursprünglich vom Wort „aperire“ (= öffnen).
Und – meine Herren – es ist halt schon eine besondere Kunst, dass Frauen sich öffnen – ihr grundsätzliches Interesse, dann ihr Herz, ihre erotische Empfänglicheit …
Warum sollten wir auch auf irgendeine plumpe Anmache stehen?
Und es kann ganz kleine Irritationen geben, und schon ist wieder alles ganz anders. Die „geöffnete Blüte“ ist schon wieder geschlossen.
Das ist ja aber das, was viele Kulturen an ihren Liebesgöttinnen auch so schätzen.
Sonst wäre es ja echt langweilig.
Aphrodite ist eine mächtige, kraftvolle, eigensinnige, selbständige und selbstbestimmte Göttin. Sie weiß ganz genau, was sie will, was ihr zusteht und nimmt sich dies auch.
Sie lässt sich nicht in patriarchale Schablonen pressen. Sie ist nichts und niemanden zugehörig und entscheidet aus ihrer tiefen inneren Weisheit, genauso, wie sie – die „Schaumgeborene“ – selbst aus den Tiefen des Ozeans empor gestiegen ist.
Ausschweifendes Fest mit ernstem Hintergrund
Im antiken Rom wurde am 1. April und in den ersten Aprilnächten von den Matronen ausschweifende Feste namens „Veneralia“ ausgerichtet – zu Ehren der Göttin Venus, quasi der Nachfolgerin von Aphrodite.
Verticordia („die Herzenswandlerin“) war ein Beiname der Venus und verwies auf die Fähigkeit der Göttin, die Herzen von Keuschheit zu Lust und von dieser wieder in Tugendhaftigkeit und Selbstkontrolle zu verändern.
Diese Festtage „Veneralia“ hatten einen durchaus ernsten Hintergrund: Sie wurden durch den Rat eines Sybillischen Orakels im Jahre 220 v.u.Z. rund um die Venus Verticordia initiiert – als Reaktion auf sexuelle Vergehen und Übergriffe.
Venus Verticordia fördert zwar durchaus den wünschenswerten Wechsel von Zurückhaltung zu ausschweifender Liebeslust. Allerdings fallen alle in Ungnade der Göttin, wenn es um ungewünschte, sexuelle Übergriffen geht, die nicht im Einverständnis aller Beteiligten stattfinden.
Der tiefere Sinn der Festivitäten war es, die Römerinnen und Römer beider Geschlechter und aller Klassen, ob verheiratet oder nicht, daran zu erinnern, die sexuellen Grenzen einzuhalten und nicht übergriffig zu werden.
Warum es dafür gerade den Rahmen eines so ausschweifenden Festes bedurfte?
Dieses gab die institutionalisierte Plattform, rituell die Lust auszuleben und damit die gesellschaftliche Sprengkraft einzudämmen.
Venus Verticordia hatte einen Tempel, der am 1. April 112 v.u.Z. als Wiedergutmachungsmaßnahme für einen Inzestfall unter Vestalinnen geweiht wurde.
Reinigung und Sinnesfreuden
Anlässlich der „Veneralia“ nahmen die Frauen den Schmuck vom Standbild der Göttin und wuschen diesen sowie die Göttinnen-Statue selbst. Anschließend bekam die Göttin wieder ihren Schmuck und wurde mit frischen Blumen geziert. Bei der Reinigung der Statue handelte es sich gleichsam um eine Reinigung von vorjährigen Sünden.
Die Matronen richteten diese Feste aus, Ovid schildert aber in einem Gedicht die Teilnahme von Prostituierten ebenso wie die von Müttern und Bräuten. Es ging offenbar sowohl bei den besser gestellten als auch bei den niedrig gestellten Frauen darum, für ihr Liebesleben den Beistand der Liebesgöttin zu begehren und sie vor sexuellen Übergriffen zu bewahren.
Die Festteilnehmerinnen tranken den Trank, den Venus selbst in ihrer Hochzeitsnacht getrunken hatte: Mohnblume mit Milch und Honig.
Die Frauen badeten an diesen Tag in den Männerbädern, die ihnen für diese Feste zur Verfügung standen und trugen Myrten-Kränze auf ihren Köpfen. Beim Eintritt in die Bäder brachten die Frauen der Göttin Weihrauch dar: Die Göttin sollte dadurch im Falle, dass ihr irgendwelche körperlichen Gebrechen an den Frauen auffielen, diese vor den Männern verbergen.
Frauen wie Männer baten Anfang April Venus Verticordia um Hilfe bei Angelegenheiten des Herzens, des Sexuallebens, der Verlobung und der Ehe.
Vor allem aber vergnügten sich Frauen miteinander auf sinnliche Art und Weise und feierten wohl auch die Freuden des beginnenden Frühlings.
Peter Paul Rubens hat das auf seinem Gemälde „Fest der Venus Verticordia“ anschaulich dargestellt.
Zu den Bräuchen gehörten auch Streiche unter FreundInnen (die immer noch im Aprilscherz erhalten sind).
Stern, Venen und Freitag
Venus ist sozusagen die Urmutter einer ganzen Reihe an Bezeichnungen und Begriffen, die mit ihr zu tun haben. So gab sie dem gleichnamigen Stern ihren Namen (vorher war er der Göttin Ischtar gewidmet).
Das englische Wort „veneration“ bedeutet einfach Verehrung, Venus sorgt dafür, dass die Venen das Blut in das Herz pumpen, während Artemis es in den Arterien wieder in den Körper bringt.
„Venery“ ist ein altes englisches Wort für Jagd und auch für Geschlechtsverkehr.
Venus gleicht nämlich in einigen Belangen weniger der Aphrodite, sondern vielmehr der Artemis, wie beispielsweise als Gebieterin der Tiere.
Nach Venus wurde der sechste (heute fünfte) Wochentag „Veneris dies“ genannt, daher ital. venerdi, franz. vendredi. Die GermanInnen setzten sie mit der Göttin Freya gleich, daher die deutsche Bezeichnung „Freitag“.
Der Venushügel ist eine poetische und viel hübschere Bezeichnung für das Schambein (das eigentlich, wenn überhaupt, dann „Charmebein“ heißen sollte, weil es hier nichts gibt, wofür Frauen sich schämen sollten).
Venus wird als Mutter aller venezianischer Stämme der Adria verehrt, nach der auch die Stadt Venedig benannt wurde.
Venire – Kraft des „Kommen lassens“
Die Kraft der Venus ist das „Kommen lassen“ („venire“ ist das italienische Wort für Kommen).
Dies ist besonders für Frauen wichtig, zu denen, wenn sie in sich und ihrem weiblichen Selbstverständnis ruhen, Liebes- und andere Dinge einfach anziehen, kommen lassen ohne viel dafür tun zu müssen.
Wenn heute noch ItalienerInnen „vengo“ („ich komme“) stöhnen, dann ist es fast wie eine Anrufung an die Göttin Venus.
Und wann und wie und ob Frauen überhaupt „kommen“ (dies ist jetzt in vielerlei Hinsicht gemeint), das obliegt ganz alleine ihnen.
Naja, es bedarf vielleicht schon den einen oder anderen Anreiz, sie dazu zu bewegen, zu kommen. Z.B. zu einem Date, denn ist dieses nicht attraktiv genug, ist es nämlich mitunter viel verlockender, einfach zu Hause zu bleiben oder sich zu einem gemütlichen Kaffeeplausch mit einer Freundin zu treffen.
Und ihr wisst ja: Frauen kommen langsam, aber gewaltig.
So wie das Wetter im April nicht zu beherrschen ist, wild und frei, von einem Moment zum anderen wechselnd, so lassen sich auch die selbstbestimmten Aphrodite-Venus-Frauen nicht in einen Rahmen pressen.
Sie kommen und gehen im eigenen Flow ihrer Spontanität, Sprunghaftigkeit, Unberechenbarkeit und Kreativität.
Und das können wir in diesem Monat gleich einmal üben, denn der April lädt uns mit all seiner Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit ein, die Dinge einfach mal (ganz ungeplant) kommen zu lassen.
Und über Unerwartetes zu lachen. Aprilscherz!
Viel spannende Erlebnisse und sinnliche Freuden wünsche ich dabei!
Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Aphrodite
Artemis
Ischtar
Freya
Venus
Bildquellen:
artedea.net
Peter Paul Rubens – The Feast of Venus – Google Cultural Institute en.wikipedia.org