Auf die Eisheiligen ist Verlass. Besonders auf die „Kalten Sophie“, die heute Nacht hier in Wien den lang ersehnten ausgiebigen Regen gebracht hat. Wie heißt es so schön: „Die kalt‘ Sophie, die bringt zum Schluss, ganz gern noch einen Regenguss.“
Sie beendet am 15. Mai ja die sogenannten Eisheiligen.
Stellt sich die Frage, wer diese kühle Frauenfigur ist.
In katholischen Überlieferungen heißt es, sie sei eine Märtyrerin gewesen, die 304 während der Christenverfolgung in Rom getötet worden ist, viel mehr von ihrer Geschichte ist nicht bekannt.
Mutter von drei heiligen Töchtern
Ihre Geschichte vermischt sich mit der Sophia von Mailand (geboren zwischen 117 – 138).Diese war eine wohlhabende Witwe, die sich nach dem Tod ihres Mannes nichts sehnlicher wünschte, als in Rom das Martyrium zu erleiden. Also machte sie sich mit ihren drei Töchtern Fides (der Glaube), Spes (die Hoffnung) und Caritas (Wohltätigkeit) auf nach Rom, wo sich ihr Wunsch erfüllte. Ihre drei Töchter wurden von Kaiser Hadrian nach langer Folter hingerichtet, und Sophia selbst starb, eventuell durch Enthauptung, nachdem sie diese bestattet hatte. Allein das gibt schon ein seltsames Bild in der katholischen Glaubenslehre ab, dass Glaube, Hoffnung und Wohltätigkeit auf brutalste Art niedergemetzelt wurden.
Die Tatsache, dass Sophia aber als Mutter von drei bedeutsamen Töchtern dargestellt wird, lässt aufhorchen. Dies verweist nämlich auf die Drei Bethen, die keltischen Muttergöttinnen Ambeth, Wilbeth und Borbeth, die unter dem Einfluss des Christentums und des römischen Reichs und dessen Wertbegriffen göttlicher Verehrung als die Heilige Fides, die Heilige Spes und die Heilige Caritas erschienen. Damit ist Sophia eigentlich die Mutter von Muttergöttinnen, eine Urmutter also. Und das wiederum verweist auf eine ganz andere Sophia:
Von JüdInnen und gnostischen ChristInnen wird Sophia nämlich als allumfassender Geist, als Schöpferin allen Lebens verehrt.
Sophia ist der Anfang der Schöpfung, die uralte biblische „Frau Weisheit“, jene göttliche Kraft, die vor allem anderen bereits da war, die weibliche Seele Gottes, die Quelle der Kraft.
In ihrer ursprünglichsten Form gilt Sophia als Schöpferin allen Lebens, aus der ihre männliche Ergänzung geboren wurde.
Die Muttergöttin des Juden- und Christentums
Eigentlich ist es schwer nachzuvollziehen, warum in nahezu allen Mythen, Religionen und Kulten der Schöpfungsakt, dieses Ur-Gebären entweder einer weiblichen Gottheit oder dem Zusammenwirken von einer weiblichen und einer männlichen Gottheit zugeschrieben wurde und just im Juden- und Christentum dies alles alleinige Männersache gewesen sein soll.
War es auch nicht, denn immerhin gibt es ja auch den „Heiligen Geist“ und unter diesem verstand man seit jeher eine göttliche Kraft mit eindeutig weiblichen Zügen.
Eine sehr schöne Darstellung davon gibt es in der kleinen St.-Jakobus-Kirche im oberbayrischen Urschalling. Beachtenswert ist vor allem auch die Stelle an der sich die Mantelfalten von Gottvater und Jesus überlappen! (Und das was darunter ist lässt ja auch einigen Deutungsspielraum zu).
Personifiziert und verehrt wird der Heilige Geist als Sophia, die große Muttergöttin des Juden- und Christentums, welche der Welt das Licht und die Weisheit brachte.
Um das zu vertuschen, wurde aus der weiblichen Figur alsbald ein Taube. Dieses Symbol hat Sophia jedoch mit einer Reihe anderer alter großer Göttinnen gemein: mit Ischtar, Astarte, Anahita, Eurynome und später auch mit Aphrodite und der Venus. Damit ist die weibliche Kraft noch ersichtlich.
Als die Kirche römisch wurde, erlitt sie allerdings durch den grammatikalisch eindeutig männlichen Begriff „Spiritus Sanctus“ ihre letztgültige Geschlechtsumwandlung.
Mit Sternen gekrönte Göttin zur Eisheiligen degradiert
Sophia – dieser „Heilige Geist“ bzw. die höchste intuitive Weisheit ist der weibliche Pol der christlichen Dreifaltigkeit. Das zeigt sich in der Darstellung Gottes als Auge in einem Dreieck.
Wenn Gottvater das Auge ist, dann ist das ihm umgebende Dreieck die Kraft von Sophia, in die er sozusagen eingebettet ist. Sie stellt als symbolhaftes Dreieck die dreifaltige Ausprägung der Lebenszyklen von Geburt, Tod und Wiedergeburt dar, ist Ausdruck der uralten Göttinnen-Triade, aus Jungfrau, Mutter und Weiser Alten.
Sophia ist die mythische göttliche Gestalt besonders in den orthodoxen Kirchen Russlands, Griechenlands und anderer Staaten. Als Ikone wird Sophia im Mittleren Osten stets mit Sternen gekrönt dargestellt, was ihre absolute Göttlichkeit unterstreichen soll. Es gibt viele Kathedralen, die der Sophia gewidmet sind. Eindrücklichstes Zeugnis dieser Sophien-Verehrung ist ihr heiliger Schrein — die im sechsten nachchristlichen Jahrhundert erbaute Hagia Sophia in Istanbul, die zu den sieben Weltwundern zählt.
Die römischen Christen waren von diesem wunderbaren Monument für die große christliche Göttin in Istanbul so peinlich berührt, dass sie behaupteten, es sei einer St. Sophia, einer der vielen „Jungfrau-Märtyrerinnen“ geweiht.
Und jetzt kommen wir zur „Eisheiligen“, denn just diese Sophia ist in frommen Schriften und Bauernkalendern die Vorlage für die „kalte Sopherl“.
Doch das ganze hat einen Haken:
Üblicherweise gibt es zu all diesen Märtyrerinnen ausführliche Legenden, die ihre Herkunft, den Grund und die Methode der Folter in drastisch-grausamer Weise beschreiben. Zu dieser Santa Sophia findet man allerdings nur einige spärlichen Angaben, sodass man davon ausgehen kann, dass hier schnell eine erfundene Märtyrerin aus dem Hut gezaubert wurde, damit die Größe der alten Göttin nicht erkannt werden kann.
Über diese Märtyrerin Sophia ist wie gesagt, kaum etwas bekannt. Und das ist sehr unüblich. Denn gerade die blutrünstigen Folter-Protokolle sind ja das, was die Christen und ganz speziell die Katholiken so erfreut. Diese fehlen hier gänzlich.
Beendet die Kälte – bringt den Frühling
Sophia, welche auch immer damit gemeint ist, wird im frommen katholischen Brauchtum gegen Spätfröste, für das Gedeihen der Feldfrüchte und reiche Ernten angerufen. Und sie erscheint uns am 15. Mai als „Kalte Sophie“, als letzte der „Eisheiligen“. Irgendwie auch unlogisch, dass die, die Kälte bringt, uns vor Frösten beschützen soll.
Viel logischer: Da schimmert wieder Sophia, die „Heilige Geistin“ ganz eindeutig durch.
Diese steht natürlich als Schöpfungsgöttin nicht nur für die ursprüngliche große Weltenschöpfung sondern auch für die „ganz normale Schöpfungskraft“, die ja ständig stattfindet.
Und daher bringt Sophia auch die Pflanzen und Feldfrüchte und damit Nahrung für die Menschen. Und in ihrem Interesse ist es wohl, dass es es gute Ernten gibt und die Kälte im Frühling den aufblühenden Pflanzen nicht zusetzt.
Laut Bauernregel wird das milde Frühlingswetter erst mit Ablauf der „Kalten Sophie“ stabil. Sie zieht also einen Schlussstrich hinter das kalte Wüten von Pankratius, Servatius, Bonifatius. Und ist damit auch eine Frühlingsgöttin.
Hier gibt es ausführliche Infos zu Sophia, der „Heiligen Geistin
Mehr zu den anderen erwähnten Göttinnen:
Ambeth
Anahita
Aphrodite
Astarte
Bethen
Borbeth
Ischtar
Eurynome
Venus
Wilbeth
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Bildquellen:
Sophia / artedea
Icon of Saint Sophia with her daughters / commons.wikimedia.org
Santísima Trinidad. Padre, Hijo y Espíritu Santo representado en forma Femenina.Fresco s.X. Iglesia de San Jakobus en Urschalling, Alta Baviera Alemania / Escritos del Cristianismo Primitivo · El Espíritu Santo como Madre en el Cristianismo Sirio de los primeros siglos / commons.wikimedia.org
Mosaic of the Virgin in the apse / Myrabella / commons.wikimedia.org