Die Walpurgis-Nacht gibt’s nicht!

In der Walpurgis-Nacht fliegen die Hexen auf ihren Besen auf den Brocken, heißt es.
Dieser Unsinn hat vielen, vielen Frauen das Leben gekostet und es Zeit, mit diesem gefährlichen patriarchalen Schmarr’n aufzuhören.
Immer wieder bin ich entsetzt, wie sich sogenannte „neue Hexen“ und Vertreterinnen der Wicca-Bewegung auf Besen reitende Hexen als Logo auf ihre Visitkarten drucken lassen oder entsprechende Bilder auf deren Webseiten, Facebook-Auftritten etc. zu sehen sind. Hört endlich auf mit diesem Frauen-verachtenden Unsinn!
Das beginnt ja schon mit der sogenannten „Walpurgis-Nacht“.

Schon diese ist eine Erfindung, besser gesagt, eine literarische Wortschöpfung.
Die Bezeichnung für diese Nacht stammt von Jo­hann Wolf­gang von Goethe – es ist eine im Mai 1799 verfasste Ballade. Die „Erste Wal­pur­gis­nacht“ ist von Felix Mendels­sohn Bartholdy in Musik gesetzt worden.

Patriarchaler Schmarr’n

Es handelt sich dabei um eine schauderhafte Auseinandersetzung zwischen Druiden und Priestern. Durch und durch patriarchal. Es geht ausschließlich um Männer.
Es sind auch keine „Hexen“ erwähnt, auch keine „Göttin“ sondern die Druiden sprechen von einem „Allvater“.
Frauen haben allerdings die entscheidende Rolle, die Männer, die im Mai auf die „Höh“ laufen wollen, offenbar vor den Christen zu warnen, die die Väter und die Kinder schlachten: „Könnt ihr so verwegen handeln? Wollt ihr denn zum Tode wandeln? Kennet ihr nicht die Gesetze unsrer strengen Überwinder?“ (Den ganzen Text findet ihr hier)
Ausgangspunkt für diese Ballade waren vermutlich Feiern rund um den 1. Mai bzw. den Mai-Vollmond.

Baum und Steinkreis in Irland

Es ist anzunehmen, dass sich dazu Frauen unter sich bzw. Frauen und Männer an alten Kraft- und Kultplätzen trafen.
Diese wur­den auf diskriminie­rende Weise „Hexen­tanz­plätze“ ge­nannt.
Der bekann­tes­te, auch durch den Dichter Goethe in sei­nem Werk „Faust“ über­lie­ferte sogenannte He­xen­tanz­platz ist der Brocken, der höch­ste Berg im Harz (1142 m).
Im Volks­mund er­lang­te er als „Blocks­berg“ bis in die heu­tige Zeit Be­rühmt­heit.
Besonders im Harz wa­ren Maien­feste sehr ver­brei­tet und beliebt. Sie haben sich dort auch lange als Tradi­tion gehalten. Mit Be­ginn der dor­ti­gen Chri­stia­ni­sie­rung (nach dem Sieg Karls des Großen über die Sach­sen) wur­den diese Feste ver­bo­ten. Wie auch bei ande­ren Feier­tagen der alten Re­ligionen, die in der Be­völkerung stark ver­wur­zelt waren, halfen alle Verbote nichts: Die Men­schen führten die Ri­ten und Feste ge­heim wei­ter.
Überliefert ist, dass al­le, die wei­ter­hin die er­ste Maien­nacht in der al­ten Form feierten, als dem Teufel hörig und als Hexe be­zeichnet wur­den.
Goethe war 1777 im Harz am Brocken und er hat die­sen Ort in sei­nen Faust mit aufgenommen, in dem er eine sol­che „Walpur­gis-Nacht“ be­schreibt. Ob die Menschen diese Nacht jemals so genannt haben, ist nicht überliefert.
Vermutlich ist dies keine tradi­tio­nelle alte Bezeich­nung. Die Goethe-Ballade ist allerdings so in den Sprachgebrauch eingegangen, dass es nicht mehr klar ist, dass es sich um eine literarische Bezeich­nung handelt.

Alte Göttin oder Seherin

Goethe hat sich dabei wahrscheinlich auf eine Göttin namens Walburg bezogen, eine germanisch-angelsächische Mai­kö­nigin, die mit ihren ro­ten feu­ri­gen Schu­hen und einer Sonnenkrone über die Er­de wan­delt und von der war­men, frucht­ba­ren Jah­res­zeit kün­det.
Die Figur der Walburg könnte auch auf eine germa­ni­sche Sehe­rin aus dem 2. Jahr­hun­dert n.d.Z. hin­wei­sen, die dem Volks­stamm der SemnonIn­nen ange­hörte und Waluburg ge­heißen haben soll.
Angelehnt ist dieser Name auch an Völva, die Bezeichnung für germanische Zauberinnen oder Seherinnen.
Der Kult um die­se my­tho­lo­gi­sche Figur war so tief verwurzelt, dass sie – wie viele andere Göt­tinnen auch – von christ­lichen Kir­chen­vä­tern ver­ein­nahmt wurde.
Durch eine faden­schei­nige Heilig­spre­chung wur­de aus ihr eine Hei­li­ge namens Wal­pur­ga, die im ach­ten Jahr­hun­dert als Äbtis­sin ein Dop­pel­kloster gelei­tet haben soll. (Mehr dazu hier).

Es gibt keine Hexen auf Besen!

Von allen Geschichten, die sich rund um die so­ge­nann­te Walpurgis-Nacht ranken, hält sich am hartnäckigsten, dass He­xen auf ihrem Be­sen durch die Lüfte zum sogenannten  Hexen­sabbat flie­gen.
Sabbat kommt im übri­gen von Zabat – was so viel be­deu­tet wie „Ge­le­gen­heit zur Macht“.
Von Hexen ist bei Goethe nicht die Rede. Wohl aber von „Menschen-Wölf’ und Drachen-Weiber, die im Flug vorüberziehen“. Was immer der Dichter damit ausdrücken wollte.
Er legt diese krausen Phantasien in der Ballade jedenfalls einem „christlichen Wächter“ in den Mund.

Um es eindeu­tig klar zu stellen:
Auf einem Besen flie­gen­de Hexen hat man we­der da­mals noch heu­te ge­sehen. Es handelt sich dabei um patriar­chal-inqui­si­tori­sche Phan­ta­sien und Unter­stel­lun­gen, die für viele Frauen höchst ge­fährlich wa­ren.
So ein Stab zwi­schen den Bei­nen einer Frau, auf dem sie noch dazu rei­tet, ist ja schon allei­ne dazu ange­tan, die un­ter­drück­te christliche Lüs­tern­heit mit wil­den Ideen zu beflü­geln.
Daher sind auch jene Dar­stel­lungen von auf Be­sen rei­tenden Frauen abzu­leh­nen, wie sie im­mer noch von vielen „mo­der­nen He­xen“ als Sym­bol ver­wen­det werd­en oder auch in der Lite­ra­tur vor­kom­men (z.B. Har­ry Potter oder Bibi Blocks­berg).
Dieses Symbol unter­stützt nach wie vor die ge­zielt lan­cier­ten Bös­artig­keiten all je­ner, die die Frauen­kraft – aus­gedrückt auch durch die ge­mein­sa­men Feste – unter­drücken und aus­rot­ten woll­ten.

Kraftvolle Feste – in abartige Rituale uminterpretiert

Speziell die Mai­nächte waren da­zu ange­tan, um viele lebens­beja­hende Ritua­le und Bräuche entste­hen zu las­sen, um die sich so man­che My­then ranken. Die Fest­nacht, in der Frauen in ihren Frauenkreisen oder auch in Fruchtbarkeitsritualen gemeinsam mit Männern ihrer Lebensfreude Ausdruck verliehen, stieß auf Widerstand und Ablehnung und regte zu wilden Phantasien so mancher Moralaposteln an.
Das Fest der Lebenslust wurde speziell im christlichen Gedankengut in eine Nacht voll von abartigen Ritualen uminterpretiert.

Die Mutmaßungen und böswilligen Unterstellungen, welche ungezügelten, wilden, ausschweifenden bis satanisch-perversen Dinge die sogenannten Hexen in der sogenannten Walpurgis-Nacht treiben, kostete in Zeiten der Inquisition vielen Frauen das Leben.
All diese bösartigen Unterstellungen, Behaup­tun­gen und An­schul­digun­gen waren dazu ange­tan, Frauen klein zu ma­chen, sie zu ängsti­gen und sie da­ran zu hindern, ihre Kraft und Lust zu leben und zum Aus­druck zu bringen, sich in un­ter­stützenden Frauen­krei­sen zu treffen und aus die­sen ge­stärkt und machtvolll hervorzu­ge­hen.
Konnte man einer Frau mit „tadello­sem Le­bens­wan­del“ nichts anha­ben, so konn­te man ihr im­mer noch nach­sa­gen, man hät­te sie in der Wal­purgis-Nacht auf ih­rem Besen auf den Brocken flie­gen se­hen. Oft ein To­des­ur­teil …

Die Fluggegenstände der Göttinnen

Da sich dieses Symbol des flie­genden Besens so lange und ein­drück­lich gehalten hat, ist es Wert, es sich ge­nauer an­zuschauen. Denn die Kraft in Verleum­dun­gen und Un­wahr­heiten liegt oft da­rin, dass eine Wahr­heit so verdreht wird, dass die an sich wahre Es­senz nach wie vor wir­kungs­voll ist.
Was könnte also der my­tho­lo­gi­sche Ur­sprung dieser „flie­gen­den Frauen sein“?
Eine mögliche Vorlage dazu fin­den wir bei jenen alten Göttinnen, die in ihren My­then oft ein Ge­fährt hatten, mit dem sie durch die Lüfte rei­sen konn­ten: Der von Kat­zen ge­zo­gene Wa­gen der Freya, der Wolf der Hyndla, das Schwein der Baubo, die schwar­zen Ros­se der Wal­kü­ren, der Mör­ser der Baba Yaga …

Diese Göttinnen reis­ten also auf allen mög­li­chen „Ge­fähr­ten“, doch nie­mals auf einem Besen.
In einigen My­then rund um Göt­tinnen kom­men Kraftstäbe vor, die so­zu­sa­gen das Zepter der Göttin dar­stellen. So über­geben sich die keltischen Göt­tin­nen Cail­leach, Modron und Bri­gid jeweils zum Wech­sel der Jah­res­zeiten ihr Zepter der Kraft (ver­mut­lich ein Gebinde aus Hollerästen).
Diese „Zau­ber­ru­te“ mit de­m Namen „slach­an“ gibt der drei­fachen Göttin die Macht über das Wetter, da­mit dirigiert sie die Jah­res­zeiten und die Ele­men­te. Dieser Kraft­stab kann als „Besen“ interpretiert werden.

Zepter, Wurfgeschoß oder Redestab

Und es ist gut möglich, dass Frauen solche kraftvollen „Besen“ hatten.
Die Verwendung kann man sich vielfältig vorstellen: Sie stellen die Verbindung der ma­gisch begabten Frauen zu den Bäu­men und Pflanzen dar, sind ein Zep­ter der Kraft, ein gutes Wurf­ge­rät, um Ge­fahr zu ver­trei­ben, wurden als Re­de­stab ver­wendet und sind ein sehr brauch­ba­res Werk­zeug, um ri­tuell Altes aus dem Haus zu keh­ren.
Sie sind vor allem aber ein ganz normales Haushaltswerkzeug.

In den Erzählungen alter Bäue­rinnen hört man, dass sie an der Art und Weise, wie eine neue Magd einen Besen in die Hand nahm bzw. mit ihm umging, sofort er­ken­nen konn­te, was diese schon kann oder auch noch zu ler­nen hatte.
Also können Frauen allein schon an der Hand­habung von Besen einiges erken­nen.
Auch mit der Art und Wei­se, wie und wo ein Be­sen rund um das Haus steht oder liegt, haben vermut­lich Frauen ein­an­der eini­ges sig­na­lisiert oder ver­mit­telt.
In bäuerlichen Ge­mein­den erkennt man ja schon allein an den Werk­zeu­gen, die beim Haus und am Hof sind, wo sich die Mens­chen befinden oder womit sie gera­de beschäftigt sind – sind z.B. die Feld­werk­zeu­ge ge­ra­de nicht da, so kann man da­von aus­gehen, dass sich die Men­schen draußen am Feld befin­den. Stehen die Stall-Stiefel vor der Stall­türe, dann ist zu ver­mu­ten, dass man die Bäue­rin oder den Bauern nicht im Stall zu suchen braucht u.s.f.

Besen als Geheimcode

Whisk broom standing at wall

In Clans oder dörfli­chen Gemein­schaf­ten konnten die Frauen mitunter mit­hil­fe der Besen erkennen, wel­che Frau sozu­sagen gerade „im Dienst“ ist. Diese stellt den Besen als Zeichen dafür in einer besonderen Art vor ihre Haustüre.
Wenn Frauen also Hilfe brauchten, dann wuss­ten sie, dass sie diese von jener Frau bekom­men konn­ten, deren Haus mit einem Besen gekennzeichnet ist.
Diese konnte man die gan­ze Nacht über stören. Damit haben auch alle an­deren Frauen ih­re Ruhe.

Überliefert ist vor al­lem aus dem Tiroler und bayrischen Raum, dass dort Be­sen in der sogenannten „Wal­pur­gis-Nacht“ mit dem Reisig nach oben auf­ge­stellt oder auch zwei gekreuzte Besen vor der Tür angebracht wer­den sollen.
Das galt als si­che­re Abwehr vor Hexen. Wenn es diesen „Ab­wehr­zau­ber“ mit Be­sen gab, dann kann man sicher sein, dass es al­le mög­li­chen an­de­ren Besenzeichen auch gab. Wobei es sich hier wahrscheinlich weni­ger um einen „Zau­ber“ han­del­te, son­dern um eine wohl­über­legte Ges­te, die Frauen ver­mutlich da­vor schüt­zen soll­ten, nicht von anderen Frauen zu ih­ren Fe­sten eingeladen und mit­ge­nom­men zu wer­den, weil das für sie zu ge­fähr­lich war.
Missgünstige Nach­barn oder auch Fa­mi­lien­mit­glie­der wie Vä­ter oder Ehe­männer gab es ja im­mer.
Das was von Männern also als „Zauberei“ ge­deu­tet wur­de, war für Frauen wahrscheinlich eine ganz nor­ma­le Me­thode, einander Zei­chen zu über­mit­teln, die von anderen „ge­le­sen“ werden konnten. Diese „Be­sen­spra­che“ war Män­nern unheim­lich. Daher verteu­fel­ten sie möglicher­weise auch den Besen.
Besen als gewöhn­liche Haushalts­ge­gen­stän­de besitzen ja die „magi­sche Kraft“, Un­rat aus dem Haus zu be­för­dern.
Daher fe­gen Frauen mit ihren Be­sen zu be­son­de­ren Fest­ta­gen, wie je­nen im Mai gleichzeitig auch alte Ener­gie aus ih­ren Räu­men und aus ih­ren Sin­nen, um neue Inspirationen zu be­kom­men.

Alte Feste mit neuen Impulsen

Viele Frauen feiern heute wieder „Walpurgis“ oder „Beltane“, als Fest der Lebensfreude, Sinnlichkeit und Fülle.
Ich auch! Und das ist auch gut so.
Wichtig erscheint mir aber, dass wir wissen, welche patriarchal-christlich-perversen Unterstellungen damit auch verknüpft sind.

Die „Walpurgis-Nacht“ steht ja auch exem­pla­risch für die oft unter­schwel­lige, unergründliche und in un­se­rer Zeit real oft auch un­be­grün­dete Angst, die Frauen immer noch haben.
Denn alles, was vor Jahrhun­der­ten un­seren Ahnin­nen passiert ist, schwingt im­mer noch mit, besonders wenn Frauen laut sind, la­chen, singen, ihrer Lebensfreude Aus­druck verleihen, auf Konventionen pfeifen, ihre Mei­nung sa­gen, gegen patriarchale Miss­stän­de an­tre­ten, selbst­be­stimmt ihre Sexua­lität le­ben.

Die schrecklichen Erfahrungen unserer Ahninnen spüren viele Frauen immer noch subtil als Angstpotential, Körpererinnerung und genetisches Gedächtnis. Trotz Aufklärung und scheinbarer Freiheiten leben Frauen unseres Kulturkreises daher selten das volle Potential.
Erst wenn wir dafür die Ursprünge kennen und all das benennen können, ist es möglich, uns auch davon zu befreien.

Hoch an der Zeit, diese alten patriarchalen Unterdrückungsmechanismen abzustreifen und gerade diese erste Maiennacht als Fest der star­ken Frauenkraft zu feiern.

Ehren wir damit auch unsere muti­gen, le­bens­star­ken und wun­der­baren Ahninnen und bringen wir Frauenkraft und altes Frauenwissen wieder in unser Leben und unsere Welt zurück!

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Dieser Blogbeitrag enthält Auszüge
aus dem 78-seitigen artedea eBook
„Beltane – Fest der Walburg:
Die hohe Zeit der feurigen – Frühlingskraft“,

in dem noch viel mehr Hintergrund-Infos und Anregungen für kraftvolle Mai-Feste zu finden sind.

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Weiterführende Infos zu den erwähnten Göttinnen:

Baba Yaga
Baubo
Bri­gid
Cail­leach
Freya
Hyndla
Mod­ron
Völva
Walburg

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Fotos: Walburg/Völva/Baba Yaga/Cail­leach – artedea.net
Steinkreis: fotolia.com/MichaelKitz
Besen: fotolia.com/Zsolt Biczó
Tanzende Frauen: fotolia.com/Evgeniy Kalinovskiy
Mandala: privat

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