Die wilde Kraft der blutigen Luz

Der 13. Dezember ist der Lucientag.
Warum gerade dieser Tag? Ab diesem kommt das Licht wieder! Zumindest am Abend. Der Tag mit den kürzestens Sonnenstunden und der längste Nacht ist zwar die Wintersonnenwende am 21. Dezember. Allerdings geht im Jahresverlauf genau am 13. Dezember Abends Sonne am frühesten unter. Nach dem Lucientag werden die Tage am Abend schon wieder länger. Was die Menschen offenbar beobachtet haben und es als Segen der Lichtgöttin zuschrieben.

Wer kennt sie nicht – die schwedischen jungen engelsgleichen Frauen, die als Heilige Lucia mit ihrer Lichterkronen weit hinaus in die Winternacht strahlen.
Diese weiße, reine Lichtgestalt Lucia hat allerdings auch noch einen ganz anderen – und wie ich finde – viel interessanteren Aspekt: Jenen der wilden, kraftvollen, ungebändigten „Blutigen Luz“.
Eine Frauenfigur, die gleichermaßen erschreckt, wie eine große Faszination ausübt. Ein Wesensanteil, der uns Frauen sehr nahe ist und der in unserer Gesellschaft oftmals tabuisiert bzw. dämonisiert wird und daher von so vielen Frauen unterdrückt wird. Und das finde ich ganz und gar nicht gut. Denn Frauen haben alles in sich, sie sind gleichermaßen die mädchenhafte zarte Weiße, die blutrote rigoros Menstruierende und die sowohl unerbitterlich-schreckliche als auch weise-gütige schwarze Alte.
Nur wenn wir alle diese Anteile, die uns ausmachen, leben und zum Ausdruck bringen, fühlen wir uns ganz.
Darf einer dieser Wesensanteil nicht sein, weil von der Gesellschaft nicht akzeptiert wird und wir ihn uns daher selbst verbieten, dann geraten wir Frauen in ein Ungleichgewicht.
Und wie soll die Welt im Gleichgewicht sein, wenn es die Frauen nicht sind?
Daher widme ich den heurigen Lucientag der „Blutigen Luz“ und möchte sie allen Frauen ans Herz – oder viel mehr – in ihren Bauchkessel legen.

Die ungebändigte gruselige Alte

Bei vielen Perchtenläufen ist die Blutige Lutz eine wichtige Figur. Sie dient als Kinderschreck, ist Schicksals-Mahnerin und vor allem das durch und durch unangepasste Weibsbild, die Ungebändigte, die gruselige Alte, die mit ihren zerfetzten alten Kleidern, zerzausten Haaren, ihrem grimmigen Gesicht erschreckt. Sie wetzt ihre Sense und fordert ein „Mölterl voll Bluat“, ein „Schwingerl voll Därm“.
Eine Dämonin, wie man meinen könnte, doch wer hat sie dämonisiert – und warum? Davon möchte ich erzählen:

Dazu ist es wichtig, ihre mythologischen Wurzeln kurz zu beleuchten: Der Ursprung der Blutigen Luz liegt in der alten römischen Mond- und Lichtgöttin Lucina. Sie bringt nicht nur das Licht, sondern auch Kinder ans Licht der Welt und wurde daher als Geburtsgöttin von Frauen lange noch nach ihrer Zeit im antiken Rom noch sehr geschätzt.
Durch den Einfluss der christlichen Kirchenväter, in deren Konzept alte Göttinnen so gar nicht passten, kam es zu einer folgenschweren Verwandlung. Eine durchaus übliche Vorgehensweise, die vielen christlichen Heiligen zugrunde liegt. Man konnte die Kraft und den Glauben, die Rituale und die Kraftorte der alten Göttinnen nicht einfach ausradieren. Durch den Kunstkniff der Verwandlung in Heilige wurden die alten mythologischen Figuren aber in den christlichen Einflussbereich transferiert und damit sollte die Erinnerung an diese nach und nach ausgelöscht werden.

In der Geschichte des frühen Christentums brauchte es immer eine deftige Martyriumsgeschichte, damit eine Heiligsprechung gerechtfertigt war. Im Fall der Lucia gab es eine jungen Frau aus Syrakus, die heimlich zum Christentum konvertiert ist. Sie musste deswegen die schauerlichsten Folterqualen erleiden, aus denen sie aber unbeschadet hervorging. Das allein deutet schon darauf hin, dass es sich womöglich nicht um eine menschliche Frau sondern um eine unsterbliche Göttin handelt.
Die Lucia-Legende ist übrigens durch keinerlei historische Beweise belegt.

Schutz und Segen zur Wintersonnenwende

Und man wollte mit der Figur der Heiligen Lucia gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Da die römische Göttin Lucina im tiefsten, dunkelsten Winter das neue Licht brachte, schien Sancta Lucia geradezu ideal als winterliche Gestalt rund um die Wintersonnenwende.
Denn da vertraute das „gemeine Volk“ stark auf den Schutz und die Segungen der alten Muttergöttin Percht und weniger auf irgendwelche Weihnachtswunder.

Sancta Lucia sollte also nicht nur Lucina, sondern auch gleich die Percht ersetzen. Das ist allerdings gründlich misslungen.
Denn die Menschen vertrauten in den Rauhnächten nicht der zarten, blonden, lichtvollen, heiligen Lucia, der Lichtbringerin im weißen dünnen Kleidchen.
Sie wollten vielmehr – den äußeren Gegebenheiten im Dezember entsprechend – die wilde Percht, die mit ihrer Kraft durch die Lande braust und mit den Winterkräften ringt.
So wurde die heilige Lucia wiederum verwandelt, diesmal von den „einfachen“ Menschen: Und zwar in die „Blutige Luz“.

Damit hatten die Kirchenväter allerdings nicht gerechnet. Denn ins Frauenbild des Patriarchats und damit auch ins katholische Christentum passen ja ganz gut die freundlichen, milden und gütigen Seiten der alten Göttinnen. Diese wurden daher bei ihrer Umwandlung in christliche Heiligen beibehalten bzw. hervor gestrichen.
Ganz anders verhält es sich mit deren selbstbewussten, wilden und eigenständigen Zügen, die für die christlichen Kirchenväter Bedrohung und Gefahr waren und damit tabuisiert bzw. dämonisiert wurden.

Die Zerstückelung der Göttinnen und die Schwächung der Frauen

Damit sind wir bei einem entscheidenden Thema: Patriarchale Strömungen vieler Kulturen, wie der griechischen, der römischen oder der germanischen waren schon lange bestrebt, die unterschiedlichen Aspekte der allumfassenden Göttinnen zu trennen, sie sozusagen in verschiedene Bestandteile zu zerstückeln. Was in den alten Kulturen begonnen wurde, vollendete die christliche Dämonologie.
Mit der Aufspaltung der Eigenschaften der Göttinnen verfolgten die patriarchalen geistlichen und weltlichen Machthaber letztendlich ein für sie wichtiges Ziel: Die Schwächung aller Frauen.
Denn werden wichtige weiblichen Identifikationsfiguren zerstückelt, konnte damit auch die umfassende und vielfältige Kraft aller Frauen aufgespalten werden – in die Brave, Liebliche, Gefällige, Harmlose einerseits und in die Wilde, Hässliche, Gefährliche, Dämonische andererseits.
Deutlich zeigt sich das in vielen unserer bekannten Märchen, die sich ja oft um das Thema „schöne junge Prinzessin – böse, alte Hexe“ ranken.
Ein „dazwischen“ gibt es nicht und schon gar nicht ein „sowohl – als auch“.
Und dennoch zeigen die alten Mythen, dass beides möglich ist: So zeigt sich die Percht sowohl als „zwiedere“ alte Vettel, die grimmig mit ihrer Wilden Jagd durch die Rauhnächte zieht und die man auf gar keinen Fall erzürnen sollte, wie auch als gütige, mütterliche und Segen bringende Strahlende.
Und auch die Luz erscheint „schiach“, garstig und dämonisch, kommt aber am Morgen des 13. Dezembers als engelsgleichen Lichtgestalt daher.

Durch die Aufspaltung der Göttinnen und mythologischen Frauenfiguren in ihre Wesensanteile wurden daher also auch Frauen gezwungen, sich für einen Wesensanteil zu entscheiden. Wie sollen sie das aber?
Wussten sie doch immer schon, dass beide Teile (und natürlich alle Nuancen dazwischen) in ihnen vorhanden sind, ganz selbstverständlich. Das hat allein schon mit ihren Menstruationszyklen zu tun, die sie um die Zeit des Eisprungs empfänglich und damit auch liebreizend und sanft macht, um sie bald darauf zur (Ei-)abstoßenden, mürrischen, gereizten, blutigen Furie werden zu lassen.

Der abgespaltene Anteil und die Schauergeschichten

Die wilde Kraft der roten, der blutenden Frau, unerbittlich und kraftvoll sollte also bei der christlichen Lucia möglichst ausgeblendet werden. Einzig ihr roter Gürtel über dem engelsgleichen weißen Kleid erinnert noch an die ursprüngliche Macht der allumfassenden Göttin Lucina, die über Mond und damit über das Mondblut gebietet.
Doch ohne die kraftvolle, wilde und rote Seite ist Sancta Lucia unvollständig.
Das „gemeine Volk“ ließ sich aber nicht so leicht täuschen und sehr schnell kam diese Kraft in Form der „blutigen Luz“ ins Brauchtum zurück.

Diese war aber bereits abgespalten von der hellen, freundlichen Seite und wurde damit mehr und mehr zur grauenhaften Figur, die oftmals als Kinderschreck herhalten musste.

Damit wurden der „blutigen Luz“ auch die schauerlichsten Geschichten angedichtet:
Ungezogenen Kindern soll sie den Bauch aufschlitzen, dass die Gedärme nur so herausquellen, ihnen mit Glasscherben die Zunge oder die ganze Haut abschaben oder von der Ferse ein dreieckiges Stück Fleisch herausschneiden.
Bei den Luzienzügen innerhalb der Perchtenläufe präsentiert sie oft auch ein blutiges Menschenhaupt auf einem Teller.

Vor allem auf Kinder hat es die Luz abgesehen, denen sie Übles antun will. Das ist allerdings ein Auswuchs jener Erziehungsmethoden, die es für richtig hielten, Kinder mit solchen Schreckensfiguren einzuschüchtern.
Ziel war es, nicht nur Kinder mit den Erzählungen, dass die „bluadige Luz“ ums Haus geht und sie holen will, zu Gehorsam und Bravsein anzuhalten. Die Auswirkung sowohl auf Mädchen wie auch auf Buben sollten auch sehr nachhaltig bis ins Erwachsenenalter anhalten. Mädchen wird hier eine Frauenfigur präsentiert, die sie unter keinen Umständen selbst werden wollen und Buben wird schon früh eingeprägt, wozu die Weiber imstande sein können, und dass sie sich daher vor Frauen ganz grundsätzlich in Acht nehmen und diese gleich einmal frühzeitig unterdrücken und deren Kraft brechen sollten.

Wichtig ist: Die blutige Luz ist keine Dämonin oder Schreckensgestalt an sich. Sie symbolisiert einen wesentlichen weiblichen Wesensanteil – jenen der ungezügelten, wilden roten Kraft, die jeder Frau innewohnt. Dämonisiert wurde sie infolge patriarchaler Ängste bzw. Interessen durch die Abspaltung von ihren anderen Eigenschaften.

Luz und Luzifer

Auffallend ist der Wortstamm Luz, der auch im Namen Luzifer steckt, jenem Gegenspieler Gottes, der interessanter Weise ja auch – wie die Göttin Lucina – das Licht bringt.
Die „blutige Luz“ kam auf ähnliche Art wie Luzifer (dem „Lichtbringer“) zu ihrem „schlechten Ruf“, denn in der christlichen Welt sind neben Gottvater und -Sohn halt andere lichtvolle Gestalten nicht so gerne gesehen, selbst wenn sie, wie Lucia, heilig gesprochen wurden.

Die unerbittlich Menstruierende

Wichtig erscheint der blutige Charakter der Luz.
Sie ist damit Ausdruck der „blutigen“, der menstruierenden Frau. Sie zerfetzt mit ihrer Sichel die Bäuche, dass die Eingeweide nur so heraushängen. Und viele Frauen kennen ja die stechenden Menstruationsschmerzen, die sich oft so anfühlen, als würde ihnen mit einem Messer im Bauch herum gewühlt werden. Blut fließt!
Die menstruierende Frau hat auch etwas Unerbittliches: Denn sie ist nicht schwanger! Sie muss sich daher nicht der Fürsorge und des Beistands eines Mannes bzw. ihrer Familie oder Gemeinschaft versichern, die notwendig wäre, würde sie ein Kind bekommen. Und damit muss sie auch nicht freundlich und gefügig sein.
Ein durch und durch archaisches Thema!
Die Menstruation ist jener Zeitpunkt im Monat, in dem eine Frau weiß, dass sie ihre Entscheidungen ganz für sich eigenständig und selbstbestimmt treffen kann und nicht Rücksicht auf ein eventuell zu erwartendes Kind nehmen muss.
Die Sense, die die Luz immer mit sich trägt, symbolisiert nicht nur den Mond der alten Mondgöttin, sondern vor allem auch den radikalen Schnitt der Trennung, der nun vollzogen werden kann.

Oft wird die Luz als alte Frau dargestellt, eine, die ihre fruchtbare Zeit hinter sich hat, sich also sozusagen permanent in diesem machtvollen, eigenverantwortlichen Zustand wie menstruierende Frauen befindet. Das sind jene „wilden Alten“, die ihr eigenes Ding zu machen, sich nicht mehr um Konventionen scheren, nicht mehr gefällig sein wollen und auch ungeschminkt sagen, was Sache ist.
Es ist zu vermuten, dass bei den Menschen die christliche Heilige mit den wilden, kraftvollen Göttinnen der Wintersonnenwende, die von Landstrich zu Landstrich andere Namen und Ausprägungen hatten, in direkter Konkurrenz stand.
Doch das Volk hat die alten Bräuche und die neu hinzugekommenen christlichen Lehren immer gut zu vermischen gewusst. Denn so leicht lassen sich kollektive spirituelle Inhalte nicht umkrempeln und austauschen, also kommt es zu dem, was Synkretísmus genannt wird – zur Vermengung von Symbolen und Bedeutungen und damit zu neuen Traditionen und Bräuchen.

Gebieterin über die weibliche Kraft

Und so wurde die zarte Heilige bald wieder zur wilden, blutigen, winterlichen Rauhnachtsgestalt. Kein Wunder eigentlich angesichts der grauenhaften, blutrünstigen Foltergeschichte, die der Heiligen Lucia in ihrer Legende angedichtet wurde.
So ist die Luz wieder das, was Lucina in ihrem Ursprung war – als Mondgöttin die Gebieterin über das weibliche Blut und damit über die weibliche Kraft.

Die Kraft der Blutigen Luz steht Frauen zur Seite, die radikal in ihrem Leben etwas verändern wollen oder mächtigen Schutz brauchen.
Ihr mächtiges Zepter ist die Mond-Sichel, sie tanzt ihren wilden Tanz an der Schwelle zwischen Licht und Dunkelheit und erinnert die Frauen an ihre zyklische Kraft, die das gesamte Spektrum ihres Seins beinhaltet.

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Blutige Luz
Lucina
Percht 

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Bildquellen:
Sankta Lucia i Vaxholms Kyrka december 2011 / Bengt Nyman / flickr.com
Blutige Luz, Lucina, Percht / artedea.net

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