Gestern im Supermarkt: „Jetzt gib endlich Ruhe“, herrschte eine entnervte Mutter ihr quengelndes Kind an.
„Gib dir doch endlich selbst Ruhe“, hätte ich ihr am liebsten gesagt.
Es ist eine Woche vor Weihnachten. Innerer Friede, langsamer werden, Gelassenheit, tiefe Entspannung – das ist ja der eigentliche Sinn dieser Zeit, die die einen Advent nennen und die für andere die Sperr- und Dunkelnächte sind.
Doch wie ist die allgemeine Stimmung? Vom Weihnachtslieder-plärrendem Wahnwitz in den Einkaufsstraßen flüchten viele auf Weihnachtsmärkte, weil sie sich dort beschauliche Besinnlichkeit erhoffen und dann kämpfen sie sich durch die dicht gedrängten Punschstände. Daheim geht’s auch immer hektischer zu, damit alles noch fertig wird vorm „großen Fest“ und im Job muss im alten Jahr noch schnell viel erledigt werden.
Wie Ruhe geben, wenn wir keine Ruhe bekommen
Und die Kinder? Die spiegeln uns doch am allerbesten, was rundherum um uns geschieht.
Da beschäftigen sich die Kleinen ganz versonnen mit etwas, das sie interessiert, da versinken sie in ein Spiel, da bestaunen sie etwas, das sie noch nie gesehen haben, da wollen sie ganz ausführlich etwas „begreifen“ – und schon muss es weitergehen.
„Komm schnell, mach weiter, trödel nicht so herum“, wie oft müssen das Kinder – schon die ganz Kleinen – hören.
Von jenen Eltern, die sich dann wundern, dass ihre Kinder dann in der Schule nicht eine Stunde stillsitzen oder sich auf etwas konzentrieren können (Stichwort: ADHS – Aufmerksamkeitsdefizits-und-Hyperaktivitätssyndrom).
Auch das Kind gestern im Supermarkt ist von seiner Mutter nach der Kasse im Eiltempo zum Ausgang geschleift worden. Wie soll es da Ruhe geben, wenn es keine Ruhe bekommt?
Ich will jetzt weder dieser Mutter noch Eltern überhaupt irgendeinen Vorwurf machen.
Sie sind oft aus guten Gründen in diesem Hamsterrad. Den Alltag zu bewältigen ist für viele nicht so einfach.
Folgen wir dem Rhythmus der Natur
Aber ich möchte alle erinnern: Im Jahrtausende alten Rhythmus, den wir alle immer noch spüren, ist gerade in dieser Zeit im Dezember das „Ruhe-geben“ dran. Draußen in der Natur und drinnen in uns.
Ich selbst werde gerade im Dezember viel eingeladen – und ich sage alles ab, was nicht unbedingt notwendig ist. Bin ich denn wahnsinnig, dass ich mich abends bei Kälte und Schneematsch durch die Straßen quäle, um dann auf irgendeiner Weihnachtsfeier zu landen, wo Zwangs-Lustigkeit vorherrscht. Die Menschen, die ich wirklich treffen will, sehe ich auch in den anderen 11 Monaten des Jahres.
Ich genieße die stillen Morgen, in denen es so langsam hell wird und ich meine Gedanken sammeln kann, die jetzt in den Sperrnächten und dann in den Rauhnächten so in mir auftauchen.
Und ich liebe die laaangen Abende mit Tee, Kerzenschein, meinen schnurrenden eingekuschelten Katzen, guten Gesprächen mit meinem Liebsten oder dem Buch, das ich schon das ganze Jahr lesen wollte und nie dazu gekommen bin.
Die Göttinnen der Stille
Und ich orientiere mich in dieser Zeit vor allem an zwei Göttinnen: Angerona und Sige. Angerona ist die römische Göttin der Stille und Verschwiegenheit. Ihr Fest, die Angeronalien oder Divalien, war der 21. Dezember, also die Wintersonnenwende.
Der Name der Angerona geht vermutlich auf „angerendo“ (= herausführen) zurück, was darauf hinweist, dass sie nach dem kürzesten Tag die Sonne wieder herausführt. Damit dies gelingt, fordert die schweigende Göttin zur Stille auf.
Durch diese Konzentration auf die mystische Kraft der absoluten Ruhe soll die Sonne „gerettet“ werden. Ihre Kraft nimmt ja vom Tag der Wintersonnenwende mit jeden Tag wieder zu.
Später wurde auch im Alten Rom das eigentliche Wesen dieser Göttin nicht mehr verstanden und sie wurde zu einer Göttin der Angst und Beklemmung.
Ihr Name wurde mit „angere“ (= ängstigen) bzw. mit „angoriare“ (= nötigen, zwingen, beklemmen) in Verbindung gebracht.
Das kann mit der Angst vor Neuem – im Neuen Jahr – zu tun haben oder mit Dingen, zu denen man sich möglicherweise selbst zwingt (also z.B. zu allem, was jetzt im Dezember Stress verursacht).
Man schreibt ihr auch übrigens auch eine Verbindung zur Halskrankheit Angina zu, bei der es auch zu beklemmenden Zuständen kommen kann. Auf jeden Fall ist man bei Angina zu Schweigen und zu (Bett-)Ruhe verurteilt. Und so weit wollen wir es doch nicht kommen lassen.
Daher ist es gut, gerade jetzt auf Angerona (und ihre beiden Seiten) zu hören.
Was will ich?
Mich auf die mystische Kraft der Stille im Dezember besinnen oder Angst und Beklemmung spüren?
Die gnostische Göttin Sige ist eine jener Ursprungsgöttinnen, die das Chaos am Anfang aller Dinge bzw. die völlige Nicht-Existenz des Universums verkörpert. Sie ist das Schweigen, aus der die gesamte Schöpfung hervorgegangen ist.
Sie lehrt uns, dass unsere Wurzeln in der stillen Leere des Universums liegen, und dass es wichtig für uns ist, uns regelmäßig mit der Stille zu verbinden.
Ich mag ja diese Chaos-Ursprungs-Göttinnen. Besonders dann, wenn es um mich herum gerade „Chaos“ gibt – in meinen Wohnräumen, in meinen Gedanken, in meinen Beziehungen. Denn das ist der Ursprung von kreativem Handeln.
Ich halte es da mit Friedrich Nietzsche, der dem Chaos sein hymnisches Lob sang: „Ich sage euch: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“
Und die Stille der Sige beherrscht nach wie vor das gesamte Universum, nur in diesem winzigen Staubkorn Erde ist es nicht still.
Doch sie ist immer da, wenn wir uns mit ihr verbinden wollen, auch in der größten lärmenden Hektik. Sie unterstützt alle inneren Kräfte. Sie ist die Stille, aus denen unserer Macht kommt und aus der unsere Inspiration geboren wird.
Gerade für Frauen ist Sige eine wichtige Beraterin und Wegbegleiterin.
Immer dann, wenn ich im Trubel des Alltags aufgehalten werde, wenn es nicht zügig vorangeht (wie z.B. an der Supermarktkasse), auch wenn ich krank werde und dadurch meine Pläne durchkreuzt werden, dann erinnere ich mich: Kleiner Gruß von Sige!
Sie haucht mir ein fast unhörbares „ssschhhhh“ zu:
Slow down, mach eine Pause, gönn‘ dir Erholung, kehre in dich, werde leer und still und finde damit zu deiner ursprünglichen Kraft zurück.
In diesem Sinne wünsche ich euch ruhige, feine, gemütliche Tage.
Gib Ruhe und gönne dir Stille!
Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Angerona
Sige
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Geschichten und Mythen rund um die stille Zeit im Dezember, die Wintersonnenwende, sowie die Rauhnachtszeit findest du hier:
- Rauhnächte – das „echte“ Buch
- Die Magie der Sperr- und Dunkelnächte
- Rauhnächte – Von den rauen Nächten und der Wilden Jagd
- e-Workshop – Mit Göttinnen durch die Rauhnächte
- Julfest: Das Fest des wiederkehrenden Lichts
- Geschichten vom Weihnachtsmann, Muttergöttinnen, Schamanen und Rentier-Damen – Gratis-Download!