Jeweils am 30. Januar wurde im antiken Rom das Fest des Friedens zu Ehren der Göttin Pax gefeiert.
Ein guter Anlass, sich einige Gedanken zum Phänomen Frieden zu machen – damals wie heute.
Und da kann man schon einige Déjà-vus bekommen.
Das antike römische Friedensfest wurde mit einer langen Prozession begangen, bei der Würdenträger, Räte und andere hohe Beamte die Insignien ihres Amtes ablegen mussten. Ohne Zeichen ihrer Würde defilierten sie an Bildnissen der Machthaber vorbei, die zu Füßen der Göttin Pax aufgestellt waren. Dabei wurden von Priesterinnen der Diana und der Juno die Namen derer verlesen, die als Feinde des Friedens und der Frauen galten. Diese beiden galten als eng miteinander verbunden.
Durch diese öffentliche Benennung fielen sie in Ungnade und wurden fortan gemieden.
Die lange Friedenszeit
Die Göttin Pax war seit der Herrschaft des römischen Kaisers Augustus Ausdruck von dessen politischem Programm, der Pax Romana. Er unterstützte ihren Kult, indem er ihr Statuen und Altäre widmete. Am 7. Juli 13 v.u.Z. gelobte er die Errichtung der Ara Pacis just auf dem Marsfeld, das war der, dem römischen Kriegsgott geweihte Platz für Truppenübungen und Volksversammlungen. Dieses 12 x 11 m große Monument aus hellem Marmor wurde am 30. Januar 9 v.u.Z., dem Geburtstag der Livia, der Ehefrau von Augustus eingeweiht. Dieser Tag war in der Folge der jährliche Tag des Friedensfestes.
Bereits im Jahre 44 v.u.Z. erschien die Göttin Pax auf Münzen.
Mit Pax Romana („Römischer Friede“) wird die lange anhaltende innere Friedenszeit im Römischen Reich bezeichnet. Sie hielt vom Regierungsantritt Kaiser Augustus‘ (31 v.u.Z.) bis zum römisch-katholischen Konzil von Nicäa (325 n.u.Z.)
Alles Friede, Freude, Eierkuchen?
Wie schwierig Frieden ist und welche vielfältigen Voraussetzungen und damit auch Begleiterscheinungen dieser mit sich bringt, das zeigt die Geschichte – eben an diesem Beispiel der Pax Romana.
Sie handelt von Mauern, Staatsgrenzen, Identifikation und Toleranz, unterschiedlichen Religionen, sowie (begründeten und unbegründeten) Ängsten und Gefahren …
Und all das ist mehr als 2.000 Jahre später hochaktuell!
Die Grundlagen Pax Romana: Streng praktizierte staatliche Gerechtigkeit auf allen Ebenen für alle Bürger im römischen Großreich, sowie eine großzügige Toleranz in Religions- und Glaubensfragen gegenüber allen Bewohnern des Römischen Imperiums, welches damals zu Recht als Weltreich bezeichnet wurde (dieser Satz ist nicht gegendert geschrieben, weil er nur für Männer galt).
August höchstes Bestreben war, dass sich alle Menschen seines Reiches wieder mit ihrem Staat identifizieren sollten. Aus diesem Grund wurde die alte Religion wiederbelebt und zahlreiche Tempel restauriert.
Diese Freiheiten galten allerdings nur solange Kaiserkult und Rechtsordnung nicht in Frage gestellt wurden.
Bei der Pax Romana ging es vor allem um den inneren Frieden. Es kam zu einer Stabilisierung des Staates. Es blühte in dieser Zeit das kulturelle und wirtschaftliche Leben. Viele Städte besaßen keine Mauern mehr.
Die Außengrenzen des Römischen Reichs waren mit allerdings mit Mauern, Wachtürmen und durch Flussläufe gesichert. Sie erstreckten sich über erstaunliche 7.700 Kilometer. Auf dem Höhepunkt der römischen Macht bewachten die Soldaten eine Linie, die sich von der Irischen See bis zum Schwarzen Meer, vom Nahen Osten quer durch Nordafrika erstreckte.
Unklar und daher Gegenstand historischer Untersuchungen ist übrigens immer noch die Frage, warum sich die Römer – eine von Eroberung und Expansion besessene Kultur – so martialisch von ihren Nachbarn abgrenzten? Wollte sich das Imperium vor kriegerischen Angriffen und damit vor Territoriumsverlust schützen oder vor dem Zuzug von Völkern und Stämmen ohne römische Bildung – den sogenannten Barbaren?
Es stellt sich auch die Frage, weshalb sich die Römer, die sich so intensiv um ihre Grenzen kümmerten, den Untergang ihres Reiches dennoch nicht abwenden konnten.
In Anbetracht der aktuellen Lage der Welt ist das von mehr als nur historischem Interesse.
Der innere Frieden und die „Gefahr“ von außen
Zurück zur augustinischen Zeit:
Im Vergleich zum vorangegangenen Jahrhundert und zur Herrschaft vieler Nachfolger des ersten Kaisers brachte die augustinische Ära Rom, Italien und den meisten Provinzen eine lange währende Zeit von innerem Frieden, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.
Nach den Verheerungen der Bürgerkriege blühte die Wirtschaft nun ebenso auf wie Kunst und Kultur. Die Zeit brachte Dichter wie Vergil, Horaz, Ovid und Properz, Geschichtsschreiber wie Titus Livius oder Architekten wie Vitruv hervor.
Kulturtechniken erlebten eine Blütezeit: Wasserregulierung, Städte- und Bäderbau, Landwirtschaft und Weinbau.
Aber da gab es die Welt jenseits der Grenzen des Römischen Reiches. Und gegen die äußeren Gefahren, wie jene, die von den Germanen an Rhein und Donau sowie den Parthern im Osten ausgingen, musste die Bevölkerung weitgehend abgeschottet werden. Und das nicht nur mit Verteidigung, sondern durchaus mit Angriff:
Also es herrschte zwar im Inneren des römischen Reiches Frieden, jedoch wurde an den Grenzen weiter um Gebiete gekämpft. So eroberten Augustus‘ Stiefsöhne Drusus und Tiberius Raetien, Noricum und Pannonien. Augustus gelang die endgültige Unterwerfung spanischer Bergdörfer. Bei dem Versuch, Germanien zwischen dem Rhein und der Elbe zu unterwerfen, kam es zur verheerenden Schlacht im Teutoburger Wald.
Die Frage ist also, von wem da die größere Gefahr ausgegangen ist – von den römischen Armeen oder von den „Barbaren“.
Ölzweig und Lanze
Wir können diesen „Frieden“ also als ein ambivalentes Phänomen wahrnehmen: Was aus der Sicht „Roms“ als ein in Frieden geeintes Welt-Imperium erschien, konnte von so manch „befriedetem“ Volksstamm nur als Unterdrückung aufgefasst werden.
Asterix-LeserInnen wissen, wovon die Rede ist:
„Wir befinden uns im Jahre 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“
Auch die Darstellungen der Friedensgöttin Pax sprechen ihre eigene Sprache: Auf Münzen wird sie viel seltener als ihre griechische Vorgängerin Eirene mit einem Ölzweig oder einem Füllhorn und wesentlich öfter und einer gesenkten Lanze bzw. Speer und Schild gezeigt. Der Ölzweig und das Füllhorn als Symbol des Wohlstands und der Fülle, die Waffen symbolisieren allzeit bereite Wehrhaftigkeit und durchaus auch Angriffslust. Es gibt sogar Münzen, auf denen Pax einen Lorbeerkranz in die Höhe hält und ihren Fuß triumphierend in den Nacken eines besiegten Feindes stellt.
Der hochgerühmte Ara Pacis, der Friedensaltar des Augustus wurde vom römischen Senat dem ersten römischen Kaiser Augustus gewidmet, nachdem er 13 v.u.Z. nach seinen Siegen über Spanien und Gallien nach Rom zurückgekehrt war. Der Altar versucht zwar Frieden und Wohlstand als Ergebnis der Pax Romana darzustellen – vorangegangen sind dem aber Feldzüge, Kriege und Siege.
Dieser Ara Pacis war reich an Reliefschmuck, so zeigt er auch –zwischen den Personifikationen der Luft und des Wassers – die Göttin Tellus, die Verkörperung der fruchtbaren, lebensspendenden Erde. Die Landschaft mit Ähren und Schilf, mit Äpfeln und Trauben, sowie dem Rind und dem Schaf strahlen Ruhe und Frieden aus.
Mit dem Reichtum der Erdgöttin soll sowohl Wohlstand, Wachstum, Fruchtbarkeit und Gedeihen wie auch der wiederhergestellte Weltfrieden versinnbildlicht werden, der Erde, Meer und Himmel erfüllt.
Wobei klar war: „Welt“ war das anerkannte Gebiet innerhalb der Grenzen des römischen Imperiums – für diesen Bereich galt auch der Weltfrieden. An den Rändern herrschte akuter oder zumindest latenter Kriegszustand. Kriege gegen äußere Feinde wurden demnach nicht als Unterbrechung des Friedens empfunden. Wo das Imperium Romanum endete, da begann die „Barbarei“, die „terra pace inops“, das Land, das dem Frieden erst bedürftig war.
Frieden braucht Vereinbarungen
Die dem Wort „Pax“ verwandte Wörter sind „pangere“ (gutmachen, binden) und „pacisci“ (Abkommen/Vertrag schließen); die Perfektform ist „pactum“, was wir im Fremdwort Pakt benutzen. Also es braucht offenbar immer Vereinbarungen. Diese sind allerdings oft geprägt von den Ideen der Mächtigeren und Stärkeren.
Dennoch: Der Wunsch nach Frieden und das Eintreten für ein friedliches Miteinander steht am Beginn der menschlichen Kulturentwicklung. Schon im antiken Griechenland gilt Eirene als besondere Göttin. Die Tochter der Göttin Themis und des Zeus artikulierte sich in Verträgen und politischen wie wirtschaftlichen Absprachen, die dem Friedenszustand Nachhaltigkeit und der Bevölkerung Wohlergehen sichern sollten.
In die römische Welt übertragen wurde die Göttin zur Pax.
Die Religion(en) und der Frieden
Der ursprüngliche Frieden der Pax ist gut gesichert im Inneren – vor allem mit der großzügigen Toleranz in Religions- und Glaubensfragen und gut abgewehrt gegen das Außen, die Grenzen des immer größer werdenden Reiches.
Den römischen Machthabern erschien allerdings vor allem durch das dynamisch wachsende und an weltlicher Macht zunehmende christliche (katholische) Kirchentum mit seinem geistig-kulturellen Totalitätsanspruch die Einführung einer absolut gültigen „Staatsreligion“ notwendig.
Die sogenannte „konstantinische Wende“ machte aus der staatlich diskriminierten und phasenweise blutig verfolgten orthodox-katholischen Kirche eine zunächst geduldete, dann rechtlich privilegierte Institution und zuletzt unter Theodosius I. eine Reichskirche.
Andere religiöse Auffassungen oder Handlungen als jene des Christentums wurden fortan mit Strafen bis zur Todesstrafe belegt.
Die verschränkte Macht
Kaiser Konstantin erkannte, dass er Kraft einer Einheitsreligion besser regieren konnte und nicht auf die vielen Sitten, Gebräuche und moralischen Eigenheiten der unterschiedlichsten traditionellen Kulten Rücksicht nehmen musste.
Besser regieren heißt: Mehr Macht haben. Und darauf läuft’s letztendlich raus. Geschickter Schachzug von Konstantin: Der Klerus genoss Steuerbefreiung, und die Bischöfe wurden als Richter und letzte Berufungsinstanz in das Rechtswesen integriert.
Was folgte, ist die große gegenseitige Unterstützung und Einigkeit von Klerus und Staat – eine Hand wäscht die andere. Der Klerus genoss Privilegien und konnte seinen Reichtum anhäufen, die Herrschenden konnten sich auf Gottes Fluch und Missfallen berufen, immer wenn es notwendig war.
Was diese verschränkte Macht mit dem „gemeinen Volk“ seit damals macht, kann man nicht nur in den Geschichtsbüchern nachlesen, das prägt auch noch heute die Medienberichterstattung.
Mit all dem war auch der innere Frieden im römischen Großreich endgültig zu Ende.
Pax hatte ausgedient. Immerhin zeigt der Rückblick eine fast 400 Jahre dauernde Pax Romana, die ihre Erprobung durch ernsthaft praktizierte kulturell-gesellschaftliche Staatsgesetze erlebte.
Die strenge Regelung, dass nur eine Religion zu gelten hat, beendete die Zeit des inneren Friedens und leitete den Verfall des römischen Reichs ein.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Ausgerechnet in Mexiko wird heute, am 30. Januar, der Festtag der „Herrin des glücklichen Endes“ gefeiert. Und das lässt Hoffnung aufkommen.
Dazu eines meiner Lieblingszitate von Oscar Wilde:
„Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“
Die römische Pax und die mexikanische Herrin des glücklichen Endes hätten einander sicher viel zu erzählen, was die Zutaten für wirklichen Frieden (im Innen und im Außen) sind – bis am Ende alles gut ist …
Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Diana
Eirene
Juno
Pax
Tellus
Themis
Bildquellen:
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