Heute: Schutzengelfest oder warum ich Engel nicht mag

In der katholischen Kirche wird heute, am 2. Oktober das Schutzengelfest gefeiert. Mir waren diese Engel ja schon immer etwas suspekt. Natürlich gefielen mir als Kind diese beruhigenden Bildchen, die zeigen, wie ein großer Engel Kinder beschützt, die über eine morsche Brücke gehen oder nahe an einem Abhang sind.
Doch schon damals habe ich mich gefragt:
Warum beschützen Engel die Kinder sehr
selektiv?
Warum hatte die Susi einen Fahrradunfall, warum hat sich der Kurti beim Schifahren das Bein gebrochen?
Wo war da der Schutzengel?
Und vor allem: Warum hat der besonders schlimme und wilde Toni immer Glück und es geschieht ihm bei seinen wagemutigen Abenteuern nie etwas?
Nach welchen Kriterien wählt so ein Schutzengel die Kinder aus, die er beschützt?

Engel – die Transvestiten des Himmels?

Also: Das Schutzengelfest ist ein guter Anlass, sich mit diesen geflügelten, schützenden Wesen auseinander zu setzen.
Was fällt uns zu allererst auf? DER Engel ist ja eigentlich männlich, er hat ja auch immer männliche Namen: Michael, Gabriel, Raphael, Ariel …
Sein Erscheinungsbild ist aber nie männlich:
Ein fließendes weißes Kleid, lockige lange Haare, ein feminin anmutendes hübsches Gesicht, zarte Hände.
Sehr oft sieht man auf Darstellungen unter dem Kleidchen weibliche Brüste. Frage: Transvestit oder doch Frau?

Woher mag diese weibliche Form wohl kommen?

Wenn ich erzähle, dass ich mich mit Göttinnen beschäftige, dann kommt sehr oft die Assoziation: Aha Engel!
Dagegen habe ich mich lange verwehrt. Doch so falsch ist diese Assoziation gar nicht.

Denn es gibt in vielen Mythologien unzählige geflügelte Göttinnen.
Und diese schon lange bevor Engel aufgetaucht sind. Da diese Schutzengel ja sehr oft eine mütterliche Anmutung haben, ist die Verbindung zu den alten Muttergöttinnen ja auch sehr naheliegend.
Der Ursprung der Engel-Verehrung ist im Judentum zu suchen.
So heißt es dort beispielsweise im Psalm 91 des Alten Testaments: „Gott befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“
Die Verehrung der Schutzengel in der Liturgie der katholischen Kirche hat sich vor allem im 15. und 16. Jahrhundert verbreitet.
All das lange nachdem es in den Mythen geflügelte Göttinnen gab, die ganz offenbar das Role-Modell für diese Engel waren.

Gottes Wille und die Eigenverantwortung

Warum ich Schutzengel nicht mag:
Sie verleiten uns dazu, die Eigenverantwortung abzugeben. Kommen wir nochmals zum schlimmen und wagemutigen Toni aus meiner Kindheit. Ich habe einmal seine Familie kennengelernt. Allesamt sportliche patente Leute, die mit ihren Kindern viel unternommen haben. Die Kinder wurden gefordert und gefördert.
Toni wusste von klein auf sehr gut, was er sich zutrauen kann, hatte eine überaus gute Körperbeherrschung und kannte sich gut mit Gefahrensituationen und Materialbeschaffenheit aus. Er wäre nie, wie Susi von einem betonierten Gehweg ungebremst mit dem Fahrrad in eine Schotterstraße eingebogen oder wie Kurti in den Steilhang eingefahren, den er nicht beherrschen konnte.

Das ist das, was ich der patriarchalen christlichen Religion auch so ankreide: Dein Wille geschehe!
Für mich ist das eine „Kleinkinder-Religion“: „Bitte lieber Gott mach, dass ich eine gute Note auf die Mathe-Schularbeit bekomme.“
Wenn das dann nicht eintritt, dann war das halt der Wille Gottes.
In schamanischen Lehren z.B. lautet die Formel ganz anders. Da stellt man sich hin und sagt mit lauter, fester Stimme: „Großer Geist, ich mache mich dafür auf, dass ich die Prüfung mit gutem Erfolg schaffe. Mein Beitrag dazu ist: Ich werde in den nächsten drei Wochen täglich fünf Stunden lernen, dafür sorgen, dass ich ausreichend Schlaf bekomme, mich gesund ernähren, damit ich geistig fit bin.“
Merkt ihr den Unterschied?

Wem fliegt der Sieg zu?

Auch Göttinnen regen in ihren Mythen zu eigenverantwortlichen Handeln an.
Und erinnern an das Ursache-Wirkung-Prinzip.
Ein gutes Beispiel dafür ist die geflügelte Siegesgöttin Nike. Es heißt, den Tapferen „fliegt“ der Sieg in Form der Nike bei Schlachten oder sportlichen Wettkämpfen förmlich zu.
Allerdings: Tapferkeit hat seinen Ursprung in stetiger Übung und Aufbau von Kraft. Nike schaut – auch bei sportlichen Wettkämpfen – genau darauf, wer sich den Sieg aufgrund von beharrlichem Training und Übung verdient hat. Diesen SportlerInnen und KämpferInnen steht sie dann auch bei.

Interessant auch die griechische Göttin der moralischen Gerechtigkeit Dike. Auch sie wird immer wieder geflügelt, ja „engelsgleich“ dargestellt.
Um unvoreingenommen Zusammenhänge beurteilen zu können, schwebt sie förmlich über den Dingen, von oben hat sie eine bessere und umfassendere Sicht auf alles.

Woraus sind die Flügel der Engel auf den Bildern und Darstellungen beschaffen?
Es sind durchwegs Schwanenflügel.
Und das führt uns zu den zahlreichen Schwanen-Göttinnen, allen voran die griechische Leda. Sie und auch andere mythologische Schwanengestalten verleihen die Fähigkeit, Zukünftiges voraus zu sehen. Von diesem Ahnungsvermögen kommt auch die Redewendung „mir schwant etwas“.
Die Sicht von einem höheren Standpunkt aus sowie eine weise Voraussicht – all das sind möglicherweise auch die Eigenschaft, die Engeln zugeschrieben wird. Das können wir aber selbst auch, wenn wir es wollen, ein wenig üben und unseren Ahnungen auch vertrauen.
Anmerkung: Dämonen werden in der sakralen Kunst übrigens immer mit Fledermausflügeln dargestellt. 

Vertraue deinem gesunden Menschenverstand –
und dann vielleicht dem Schutzengel

Nochmals zurück zu den Schutzengel, die ja heute ihren großen Tag haben.
Es heißt ja, man muss an sie glauben, damit sie wirkungsvoll sind.
Na gut, dann könnte man ja unbekümmert alles mögliche tun: Durch den Wald gehen und irgendwelche Pilze sammeln und danach essen, mit 100 Stundenkilometern über rote Ampelkreuzungen rasen oder sich bei Gewitter aufs offene Feld stellen.
Wie im vorhin zitierten Bibelpsalm könnten wir ja darauf vertrauen, dass uns die „Engeln Gottes auf ihren Händen tragen, damit unser Fuß nicht an einen Stein stößt“.
Leider ist der Sohn einer Freundin, der mit Kopfhörern in den Ohren und den Blick auf’s Handy über die Straße gegangen ist, nicht von einem Schutzengel auf Händen getragen worden …
Ich persönlich vertraue da lieber auf meinen gesunden Menschenverstand, den Verkehrsregeln und meinen wachen, offenen Sinnen, die mich vor etwaigen Gefahren warnen.
Da kann sich dann auch mein „Schutzengel“ entspannen!

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Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Dike
Leda
Nike

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Bildquellen:
Dike, Leda und Nike: artedea.net
Schutzengeldarstellung von Pietro da Cortona, 1656: de.wikipedia.org
THE GUARDIAN ANGEL / Bird, Frederic Mayer: commons.wikimedia.org

 

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