Huch, was für eine Aufregung. Da steht doch glatt eine „Vagina“ mitten im Stadtzentrum Wiens, nämlich am Graben. Die FPÖ findet das geschmacklos und zahlreiche Medien berichten darüber, hier z.B. der ORF. Und diesen Beitrag möchte ich ganz besonders lobend hervorheben, denn hier steht bereits im Vorspann das Wort „Vulva“. Und wenn wir Assoziationen zu diesem fünf Meter hohen Kunstwerk der estnischen Künstlerin Kris Lemsalu haben, dann kann das sicher nicht jenes einer Vagina, sondern einer Vulva sein. Denn eine Vagina sehen wir hier nirgendwo!
Der Unterschied zwischen innen und außen
Denn: Das gesamte äußerlich sichtbare weibliche Genital wird als Vulva bezeichnet.
Die innen liegende Vagina verbindet die Vulva mit Muttermund und Gebärmutter. Diese ist bis zu zwölf Zentimeter lang, besteht aus Schleimhaut und ist von Muskeln umgeben.
Und genau das sehen wir hier am Wiener Graben nicht, denn da müsste der Skulptur eine Art Schlauch folgen. Dann wäre das aber immer noch Vulva und Vagina.
So, die Begrifflichkeiten wären einmal geklärt.
Warum ist dieser Unterschied so wichtig?
Viele Generationen von Frauen haben sich schwer getan, die Organe ihres Genitalbereiches richtig zu benennen. Aus Peinlichkeit oder Scham gibt es die Bezeichnungen „da unten“ oder „zwischen den Beinen“. Dann kam schon etwas aufgeklärter und medizinischer der Begriff „Scheide“ oder „Vagina“ dazu. Und damit war der äußere Bereich, nämlich die Vulva mit ihren äußeren und inneren Vulvalippen, der Klitoriseichel mit Vorhaut sowie der Harnröhrenausgang mitgemeint.
Das aber ist FALSCH! Es ist wichtig, hier die genauen Bezeichnungen zu kennen und zu verwenden. Denn wenn wir Frauen unsere Anatomie nicht richtig benennen können, dann kann das sehr falsch verstanden werden, mit höchst unangenehmen medizinischen oder rechtlichen Folgen. Etwa bei einer gynäkologischen Untersuchung. Oder einer Aussage bei der Polizei oder vor Gericht im Rahmen eines sexuellen Übergriffes oder einer Vergewaltigung. Frauen müssen in der Lage sein, präzise Auskünfte über ihren Körper geben zu können. Ein Mann sagt ja auch nicht Hoden, wenn er den Penis meint.
Genitalien reduziert auf ein Loch
Auf dieser Plattform im Internet habe ich diesen sehr wichtigen Text dazu gefunden:
Wer ausschließlich von der Vagina spricht, reduziert die Genitalien auf ein Loch, das nur aus einer heterosexuellen, männlichen Perspektive sinnvoll ist: Nämlich aus der Perspektive von jemandem, der dieses Loch für die eigene Befriedigung nutzen möchte. Damit werden die Körperteile ausgeblendet, die zur Vulva gehören und für Frauen sexuell anregend sind, also bei Stimulierung für einen Orgasmus verantwortlich sind. Die weiblichen Genitalien schlichtweg als Vagina zu bezeichnen ist misogyn, spricht Frauen ihre Sexualität ab, lässt sie passiv erscheinen und rückt den Mann in den Fokus.
Chara – der freudvolle riesenhafte Rentier-Kieferknochen
Die estnische Künstlerin Kris Lemsalu hat hier eine herzförmige Figur aus Kunstharz geschaffen, die eigentlich einem riesenhaften Rentier-Kieferknochen nachgeformt wurde. Sie nennt dieses Werk „Chara“ und das leitet sich vom altgriechischem Wort für Freude ab. Sie soll auch von der griechischen Göttin Baubo inspiriert worden sein. Diese hatte eine sprechenden Vulva und damit konnte sie die Göttin Demeter erheitern, was schließlich zur Befreiung ihrer Tochter Persephone aus der Unterwelt führte.
Ein ähnliches Motiv finden wir auch im der japanischen Mythologie bei der Göttin Ama no Uzume.
Doch die Vulven dieser Göttinnen hatten keine Zähne. Die Skulptur am Graben zeigt aber diese sehr eindeutig.
Vagina dentata – einer der Urängste der Männer
Und damit kommen wir zur sogenannten „Vagina dentata“ (bezahnte Vagina) und zu einer der Urängste der Männer. Der Mythos der Vagina dentata wurde in der westlichen Welt hauptsächlich durch Sigmund Freud bekannt gemacht. Angeregt wurde er dazu durch zahlreiche Legenden über Frauen mit bezahnten oder anderweitig mit Waffen besetzten Vaginen, die sie angeblich in die Lage versetzten, ihre Sexualpartner zu ermorden oder zu kastrieren. Die feministische Autorin Barbara Walker nimmt an, dass dieser Mythos sich im Europa des Mittelalters zu dem Bild des gigantischen Mundes als Eingang zur Hölle entwickelte. Diese warnende Sage wurde oft erzählt, um vor den Gefahren des sexuellen Kontaktes mit fremden Frauen zu warnen.
Wenn wir nach einer Göttin mit einer „Vagina dentata“ suchen, dann finden wir diese nicht bei Baubo, sondern bei der indischen Göttin Uma, die dem Mythos nach „harte Zähne wie Donnerkeile mit scharfen Spitzen“ in ihrer Vagina hat. Und zwar nicht gleich außen an der Vulva, sondern tatsächlich innen drinnen, die gesamte Länge bis hin zum Muttermund soll damit ausgestattet gewesen sein.
Hält Dämonen fern, wendet Unheil ab
Die Darstellung einer Vulva hat ja in vielen Kulturen eine apotropäische Wirkung. Apotropäisch bedeutet: Dämonen fernhaltend, Unheil abwendend. Es handelt sich vor allem auch um Maßnahmen im Rahmen eines Abwehrzaubers, mit denen schädigender Zauber ferngehalten oder unwirksam gemacht werden soll.
Wir finden auf vielen Kirchen und Klöstern vor allem in Irland und England die Reliefs von Sheela-na-Gig-Figuren, die weit gespreizt ihre Vulva präsentiert.
Und auch wenn wir hierzulande Kirchen anschauen –Vulven allerorts. Als Beispiel sei nur der Wiener Stephansdom genannt, auf dem neben dem Riesentor auf einer Halbreliefsäule eine eindeutige Vulva zu sehen ist. Und genau über dem Tor sitzt Jesus in einer großen eindeutig vulvenförmigen Mandorla. Hier sind wir unweit von der am Wiener Graben aufgestellten Figur, die als Vulva interpretiert werden kann. Warum also regen sich manche über diese auf und nicht gleichzeitig über die alten steinernen Zeugnisse am Stephansdom? (Diese Frage geht vor allen an den Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp, der „diese Art von Kunst als völlig geschmacklos“ bezeichnete. Naja, sie ist eh nicht da, um gegessen zu werden.)
Scheide, das Futteral für ein Schwert
Kommen wir zuletzt noch einmal zum Begriff Scheide oder dessen lateinische Bezeichnung Vagina. Auch so ein problematischer Begriff. Denn dieser bezieht sich im eigentlich Wortsinn auf die Schwerttasche des Mannes, also jenes Futteral, in dem er sein Schwert stecken hat. Ganz schön bezeichnend für das immer noch äußerst schwierige Weltbild, das dieses Wort vermittelt, oder? Denn schlussendlich geht es bei dieser Bezeichnung mal wieder um eine Reduzierung auf die Funktion, die die weiblichen Genitalen für einen anderen – genauer genommen, männlichen – Menschen haben.
Höchste Zeit, neue Begriffe zu finden und diese auch richtig zu verwenden!
Mehr zu den hier erwähnten Göttinnen:
Ama no Uzume
Baubo
Demeter
Persephone
Uma
Sehr aufschlussreicher Text und gut erklärt!
PS: Ideal, wenn die Seite noch responsive wäre.