Das „Wirtschaftsblatt“ erwähnt in einer Schlagzeile eine Göttin – hui, das ist interessant!
Es geht um den 20-Euro-Schein. Während im Artikel über die neu gestaltete Banknote dann wieder eher verschämt von einer „mythologischen Gestalt“ die Rede ist, können wir im Titel in fetten Lettern lesen:
20-Euro-Schein rückt Göttin ins rechte Licht
Das ist doch schon was! In meiner kleinen Presserundschau haben sich durchwegs fast alle anderen deutschsprachigen Printmedien bei ihren Artikeln über den neuen 20-Euro-Schein an die Bezeichnung „mythologische Gestalt“ gehalten. Einzig noch die Wiener Gratis-U-Bahn-Zeitung „heute“ hat im Text Europa auch als Göttin bezeichnet.
Also: Beim neuen 20-Euro-Schein, der ab dem 25. November in Umlauf gebracht wird, schaut die Göttin Europa durch’s Fenster.
Wie das geht: Wenn man die Banknote gegen das Licht hält, wird dieses „Fenster“ durchsichtig und Europa schaut raus.
Mit leicht geneigtem Kopf, einer recht hübschen Frisur (Lockenkopf, Kurzhaarschnitt) und einem Gesichtsausdruck, der – wie soll ich ihn deuten – ein Mittelding zwischen fragend, traurig und resigniert ist. So, wie wenn ihr gerade ein Stoßseufzer entfleucht wäre oder so, als hätte sie ein wenig Magen- oder Zahnschmerzen.
Als Vorlage wurde ein Porträt der Göttin verwendet, das sie auf einer über 2000 Jahre alten süditalienischen Vase zeigt, die im Pariser Louvre steht.
Die Kokette, Verführerische
Bemerkenswert finde ich die Erklärung auf der offiziellen Website der Europäischen Zentralbank, warum gerade dieses Bildnis der Europa gewählt wurde:
„Warum wurde gerade diese Figur als Symbol Europas ausgewählt?
Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern vor ihm konzentrierte sich der Maler bei seiner Darstellung nicht auf die Entführung Europas durch Zeus in Gestalt eines Stiers, sondern auf die vorangehende Verführungszene … Gut erkennbar sind die Koketterie der reich geschmückten Europa, deren Abbild sich im Teich spiegelt, und die Geste der Ehrerbietung des prächtigen weißen Stiers, von dem die Mythologie kündet. Wir sehen hier also eine verführerische Europa.“
Jaja – immer schön kokett, das „kleine Fräulein“ . So lieben es die Männer – nicht nur jene der EZB. Eine starke, selbstbestimmte Göttin, die reitend den Stier beherrscht – uii, da könnten die Männer ja Angst kriegen und die Frauen auf dumme Gedanken kommen.
Heidnische Gestalt und der Untergang des Abendlandes
Europa findet sich ja auch schon am 5- und am 10-Euro-Schein – klein und auf so einer Art Spiegel – kaum erkennbar.
Der neue 20-er soll sie jetzt viel deutlicher sichtbar machen – eben: Ins rechte Licht rücken.
Was mich auch erheitert hat: So manche christlichen Pressedienste und Foren sehen in der „Europa-Serie“ der Euro-Scheine gleich den „Untergang des Abendlands“.
Zitat: „Ist die Wahl einer heidnischen Gestalt für das Geld ein Zeichen für die Abkehr Europas von seinen jüdisch-christlichen Wurzeln?“
Das finde ich wirklich originell – denn wo hat das Juden- und Christentum seine Wurzeln?
Und wo bitte hat Europa (also in diesem Fall der Kontinent) seine Wurzeln – lang bevor die patriarchal-monotheistischen Religionen diesen Erdteil überrollt haben?
Ich zitiere Kirsten Armbruster: „… der Islam stammt wie das Judentum und das Christentum aus den Steppen und Wüsten einer von Hirtennomaden geprägten Kultur …“
Und ich zitiere eine gute Freundin, die zur „Europäisierung des Christentums“ letzte Weihnachten gesagt hat: „Manche tun ja echt so, als sei das Christkinderl in der Stillen Nacht-Kapelle in Oberndorf auf die Welt gekommen.“
Paulusien oder Irischmönchistan?
Schon als Europa auf dem 5-Euro-Schein erschien, ließ der CSU-Politiker und Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats, Ingo Friedrich, verlauten, man hätte „auch andere Personen aus der jüdisch-christlichen Tradition nehmen können, um der europäischen Währung ein einheitliches Gesicht zu geben. Denkbar sei etwa der Apostel Paulus, der den christlichen Glauben nach Griechenland brachte und dadurch den ganzen europäischen Kontinent nachhaltig veränderte. In Frage kämen auch irische Mönche, die maßgeblich zur Ausbreitung des Christentums beitrugen.“
Ja, das haben wir eh schon bemerkt – die nachhaltige Veränderung des europäischen Kontinents …
Danke, ich hätt’s nicht gebraucht.
Zum Glück haben wir noch nicht den ganzen Kontinent umbenannt – in Paulusien oder Irischmönchistan.
Europa – warum schaust du so traurig?
Wie sollen wir also den Gesichtsausdruck von Europa auf den Euro-Scheinen deuten?
- Ist sie betrübt über die Finanzsituation in ihrem Heimatland Griechenland, wo sie vielleicht bald gar nicht mehr aus Euro-Scheinen durch’s Fenster schauen kann? (Im übrigen hab ich als Kind das immer sehr faszinierend gefunden, dass man in Griechenland mit „Drachen“ zahlt.)
- Ist sie verzweifelt, weil man sich um den 20-Euro-Schein eigentlich kaum mehr was kaufen kann? (Bei der Umrechnung in die alte Währung – ja das tu ich dann und wann – kommt mir immer das Gruseln).
- Oder macht ihr überhaupt die Situation jenes Kontinents Sorgen, der ihren Namen trägt?
- Oder hat sie einfach die ganze patriarchale Story satt, die sie als armes Entführungsopfer vom mächtigen Zeus-Gott darstellt, der damit nichts anderes im Sinn hatte als zu beweisen, dass ER der ERSTE war? (Die vom patriarchalen Mief entstaubte Version der alten selbstbestimmten Mondgöttin Europa findet ihr HIER.)
Schade, dass Europa nicht machtvoller durch das Euro-Fenster schaut, nicht so scheu zur Seite geneigt sondern uns mit geradem, direkten Blick prüfend entgegen sieht.
Wie anders z.B. zeigt sich Europa auf dem 5-DM-Schein von 1948 – barbusig, hoffnungsfroh die Sonne in ihrer Hand, lässig auf die Stierhörner gelehnt (oder ist das gar das alte Kuhhörner-Mondsichel-Symbol?).
Oder auf der griechischen 2-Euro-Münze, wo sie selbstbewusst in ihrer vollen Pracht, Schönheit und Stärke auf dem Stier reitet.
Aber immerhin: Jedesmal, wenn wir einen 5- oder 10- und demnächst auch einen 20-Euro-Schein bekommen, dann haben wir damit auch eine Göttin in der Hand.
Links:
Die Geschichte der Göttin Europa
Der Blog von Kirsten Armbruster (zum Zitat „Christentum aus den Steppen und Wüsten …“)
Wirtschaftsblatt online: Artikel: 20-Euro-Schein rückt Göttin ins rechte Licht
Neue-Euro-Banknoten – Statement der Europäischen Zentralbank zum Bildnis der Europa auf den Euro-Scheinen
Die Quelle, aus der das Zitat mit der „heidnischen Gestalt für das Geld“ ist (falls ihr euch das wirklich antun wollt, es zu lesen): https://charismatismus.wordpress.com/2013/01/12/pro-und-contra-griechische-gottin-europa-auf-neuen-funf-euro-scheinen/
Haha die Jungs 😉 , so zimperlich simpel!:“ „Untergang des Abendlands“.
Zitat: „Ist die Wahl einer heidnischen Gestalt für das Geld ein Zeichen für die Abkehr Europas von seinen jüdisch-christlichen Wurzeln?” “ Aber ja doch!
Zum Thema „jüdisch-christliche Wurzeln“ möchte ich allen „Katholiban“ den legendären Satz von Bruno Kreisky ans Herz legen: „Lernen’s Geschichte“….