Blutroter Wonnemond

Die alte Bezeichnung für Vollmond im Mai ist Wonnemond. Abgeleitet davon auch der Wonnemonat. Die Wonne entspringt dem alt- und mittelhochdeutschen Wort für Freude „wunni“. 
Und dieser Wonnemond geht heuer auch mit einer totalen Mondfinsternis einher, von der wir aber in unseren Breitengraden leider nicht viel sehen werden.
Alle, die am Montag (Mond-Tag!) zumindest einen Teil des Himmelsereignisses nicht verpassen wollen, müssen zeitig aufstehen, dann ist erste Hauch der Mondfinsternis noch fürs bloße Auge wahrnehmbar: 

Gegen halb vier Uhr morgens am 16. Mai schiebt sich der Mond langsam in den Halbschatten der Erde und wird von einem leichten Grauschleier überzogen. Richtig wahrnehmbar wird das aber erst, wenn mehr als die halbe Mondscheibe vom Halbschatten verdunkelt ist. Um 4.27 Uhr beginnt die Mondscheibe, in den Kernschatten der Erde einzutreten. Diese partielle Phase der Mondfinsternis kann man noch gut beobachten. Der Vollmond befindet sich zu der Zeit zwar schon tief im Südwesten, ist aber noch fast eine Handbreit vom Horizont entfernt. Vom linken Rand her wird der Mond jetzt deutlich überschattet, dann „frisst“ sich der Schatten immer weiter über die Mondscheibe. Der Himmel dagegen wird ganz allmählich heller, denn um die Zeit hat längst die Morgendämmerung eingesetzt.
Um ca. 5.29 Uhr ist die Mondscheibe komplett in den Kernschatten eingetreten – die totale Mondfinsternis beginnt (das ist der Zeitpunkt für Wien, je weiter im Westen, desto später, in Innsbruck z.B. um 12 Minuten).
Davon haben wir aber nicht viel: Sechs Minuten später geht die Sonne auf, zwei Minuten darauf ist der Mond untergegangen.
Wer mehr von der totalen Mondfinsternis sehen will, muss zu der Zeit in Spanien oder Portugal sein – oder noch weiter westlich. Die Totalität dauert insgesamt fast anderthalb Stunden – gut zu beobachten für all jene, die auf dem Atlantik unterwegs sind oder sich in Mittel- oder Südamerika oder dem Süden Nordamerikas befinden. Nur dort ist dann auch der typische rote Blutmond zu sehen, der bei einer totalen Mondfinsternis entsteht.

Kosmisches Zeichen

Das Besondere einer Mondfinsternis, wenn diese am dunklen Nachthimmel sichtbar ist: Der Mond verschwindet nicht einfach vom Himmel, er erscheint vielmehr in einem düsteren Licht, das in Rotschattierungen von bräunlich bis orangerot variieren kann. Dieses Farbenspiel entsteht durch die Brechung des Sonnenlichts in der Erdatmosphäre, so wird langwelliges rötliches Restlicht in den Schattenbereich hineinlenkt.
Wir sprechen daher auch von einem „Roten Mond“. So ein Phänomen nannte man früher – ein wenig unheilschwanger – auch „Blutmond“.

Seit jeher galt eine Mond- wie auch eine Sonnenfinsternis als kosmisches Zeichen, das zu allerlei Spekulationen, Orakeln, Prophezeiungen, Beschwörungen und Ritualen Anlass gab. Da und dort war in den Mythologien auch eine Göttin im Spiel.

Was geschieht – rein astronomisch – bei einer Mondfinsternis?
Sonne und Mond stehen einander genau gegenüber, sind also voneinander am weitesten entfernt. Die Erde schiebt sich dazwischen – der Mond tritt auf seiner Umlaufbahn in den Schatten der Erde. Bei einer totalen Mondfinsternis, so wie sie am 16. Mai 2022 stattfindet, durchquert der Mond mit seinem vollen Durchmesser den Kernschatten der Erde.

Die Mondfinsternis in den Mythen der Göttin

Trotz dieser (astronomisch) weiten Entfernung wurde das Phänomen einer Mondfinsternis vielenorts als die Vereinigung von Göttin und Gott repräsentiert von Mond und Sonne angesehen.

So sagt man von der Mondgöttin Gleti des Afrikanischen Königreichs von Dahomey, dass sie bei einer Mondfinsternis von ihrem Mann besucht wird. Sein Schatten soll ihr Gesicht verdecken.
Auch von Pandia, der Vollmondgöttin des alten Griechenlands, deren Name die „vollkommen Leuchtende“ bedeutet, wird erzählt, dass sie ab und zu „Herrenbesuch“ bekäme. Dann soll ihr Antlitz vor „Schamesröte“ leuchten.
Wir wollen doch hoffen, dass die Kategorie Scham bei einer alten Mondgöttin gar nicht vorhanden ist und ihr wünschen, dass ihre Wangen in diesen seltenen Liebesnächten, in denen wir Mondfinsternis haben, rot vor Lust glühen.

Auch in anderen Kulturen wurde eine Mondfinsternis mit einer Göttin in Verbindung gebracht:
So soll die hawaiianisch-polynesische Mondgöttin Hina dem Mythos nach als hochstehender Mond von einen Seeungeheuer verschlungen worden sein.  Ihr Sohn Maui hat sie aber noch gerettet. Man kann davon ausgehen, dass dies auf das Ereignis einer Mondfinsternis schließen lässt, die damit in die Mythologie des Volkes einging.

Von Mama Quilla, Mondgöttin der Inkas glaubte man, dass sie bei einer Mondfinsternis von einem himmlischen Jaguar verschlungen wird.

Und wenn die afrikanische Mondgöttin Mawu einmal auf der Erde nach dem Rechten schauen will, dann verschwindet sie einfach von ihrem Platz am Himmel. Das ist bei jedem Schwarzmond der Fall.
Aber: Mondgöttinnen sind unberechenbar – ab und zu macht sie eine Ausnahme und tut dies auch bei Vollmond. Dann sprechen die Menschen von einer Mondfinsternis.

Die keltische Kriegs- und Krähengöttin Badb wird oft als blutrünstiger, dunkler, gefährlicher Aspekt der Göttin gesehen. Man sagt von ihr, dass sie im Morgennebel vor einer Schlacht mit ihren riesigen Händen im Fluss die Kleider derjenigen Krieger wäscht, die das bevorstehende Gefecht nicht überleben würden. Das Wasser soll sich rot von ihrem Blute färben.
Wenn sich – bei einer Mondfinsternis – der Mond blutrot färbt, dann galt das auch als Zeichen, dass Badb am Werk ist.

Im antiken Griechenland wurde das Phänomen des „Roten Mondes“ folgendermaßen erklärt: Thessalische Hexen mit bösen magischen Kräften holen die Mondgöttin Selene vom Himmel, um in wilden Ritualen ihr Blut auszusaugen.

Dieses Mysterium rund um den Roten Mond verstörte vor allem die thessalischen Männer. Die Farbe des weiblichen Blutes hat offenbar schon damals den Männern Angst gemacht. Wenn sich dann noch dazu die Erdenfrauen mit dem Blut der Mondgöttin aufladen, dann kann das ja nichts Gutes bedeuten ;o)
Die Männer machten daher viel Krach, trommelten auf allerlei Schlaginstrumente, um die Mondgöttin wieder in den Himmel zu heben. Was auch immer gelang, sie erscheint ja nach einiger Zeit wieder wunderschön, in „unschuldigem“ Weiß schimmernd.
Anderen Überlieferungen zufolge sollen die Frauen Thessaliens ihren Unterleib von dem Rot der Mondgöttin bei einer Mondfinsternis bescheinen haben lassen, was Stärke und Fruchtbarkeit bewirken sollte.
Ganz besonders wertvoll war den thessalischen Priesterinnen der „Mondtau“ – das erste, während einer Mondfinsternis gesammelte Mondblut von jungen Mädchen, das sogar Tote wieder lebendig machen konnte.

Weiß – Rot – Schwarz:
Die Mondgöttin zeigt sich in ihren drei Farben

Wenn man die Mondenergie als Symbol für die Frauenkraft sieht, dann ergibt sich in einer Vollmondnacht mit Mondfinsternis auch folgende spannende Deutungsmöglichkeit:
Hier zeigt sich die (Mond-)Göttin in ihren drei Aspekten – mit den Farben weiß (für die Junge), rot (für die Mutter) und schwarz (für die Alte). Vom der jungen Weißen wechselt die Mondgöttin in die fruchtbare Rote – das alles tief eingetaucht in den schwarzen Hintergrund des großen dunklen Universums – der Weisen Alten.
Bei guter Sicht und mit etwas Glück ist die Mondgöttin in allen drei Farben zu sehen: in der Mitte schwarz, umgeben von einem weißen und roten Strahlenkranz.
Es ist Vollmond und doch ist es dunkel, so wie auch Frauen mitunter am Zeitpunkt ihrer größten Schaffenskraft oder Fruchtbarkeit stehen und sich dennoch verbergen – nicht strahlen, sondern wohlig oder gefährlich rot glühen oder für eine Weile ganz im Verborgenen wirken.
Im Übrigen: Wer gibt der Mondenfrau den Schutz, der sie unsichtbar macht?
Richtig – die gute alte Erdmutter, hinter der sie sich für eine Weile verstecken kann.
Fein, wenn es auch in unserem Leben Frauen gibt, die uns die Möglichkeit geben, uns für einige Weile im Verborgenen zu halten.

Und wenn von „unheilschwangerem Omen“ die Rede ist.
Ich finde die Idee hat was: Die beiden, meist als weiblich angesehenen, Himmelskörper Mond und Erde tun sich zusammen, um für kurze Zeit einmal die, als männlich geltende, Sonne zu verdecken.
In Zeiten wie diesen, in denen wir die Auswirkungen von tausenden Jahren Patriarchat so deutlich zu spüren bekommen, ist das doch ein wunderbares Zeichen.
Findet ihr nicht auch?

Über dies und einiges mehr können wir am frühen Morgen des 16. Mais meditieren, uns bestrahlen lassen, unsere rote, weiße und schwarze Kraft feiern.

Kommt nicht sobald wieder

In den nächsten Jahren wird es übrigens bei uns eher dürftig mit Mondfinsternissen. Von der totalen Mondfinsternis am 14. März 2025 werden wir wie diesmal nur den Anfang zu Gesicht bekommen. Erst ein halbes Jahr darauf am 7. September 2025 können wir wieder eine Totalität bestaunen – von der wir dann nur den Anfang verpassen.
Die darauf folgende totale Mondfinsternis, die zur Gänze von Mitteleuropa aus gut beobachtet werden kann, ist erst in sieben Jahren, am 26. Juni 2029.

) o (

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Mehr Informationen zu den erwähnten Göttinnen:

Badb
Gleti
Hina
Mama Quilla
Mawu
Pandia
Selene

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Bildquellen:
alle Göttinnen-Bilder: artedea.net

total lunar eclipse, taken from California:
de.wikipedia.org – Alfredo Garcia, Jr, [2] – Flickr [1]

Kern- und Halbschatten der Erde (nicht maßstabsgetreu):
de.wikipedia.org – Original: User:Sagredo Translation/Übersetzung: Bleistift2 – File:Geometry of a Lunar Eclipse.svg

Eclipse montage:
de.wikipedia.org – Jason Snell from Mill Valley

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Eine Antwort zu Blutroter Wonnemond

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