Der Papst und die alte Göttin

„Papst Franziskus macht es einem aber manchmal wirklich schwer, ihn zu verstehen und zu verteidigen. Warum lässt er eine heidnische Göttin namens Pachamama aufstellen, die auch Drachengöttin genannt wird?“, seufzt Rektor Georg Alois Oblinger in einer Sonntagspredigt.
Was ist geschehen?
Bei der kürzlich abgehaltenen Amazonas-Synode in Rom brachten Menschen aus der Amazonasregion Gegenstände aus ihrer Heimat mit, darunter auch zwei Holzfiguren von nackten, schwangeren Frauen. Diese sollen die uralte Erdgöttin und Weltenmutter Pacha Mama darstellen.
Diese Figuren wurden für die Dauer der Synode in die Kirche Santa Maria in Traspontina untergebracht.

Ertränkt und verbrannt

Daraufhin schlugen die Wellen in fundamentalen katholischen Kreisen hoch.
Im Rom entwendete der selbsternannte österreichische „Lebensschützer“ Alexander Tschugguel kurz entschlossen die Holzfigur der schwangeren Göttin und warf sie in den Tiber. Begründung: Es ginge bei dieser Figur um den Verstoß gegen das 1. Gebot.
Dass er selbst gegen ein Gebot, nämlich das 7. „Du sollst nicht stehlen“ verstoßen hat, war für ihn in seinem christlichen Eifer wohl nebensächlich.
In Mexico-City verbrannte Pater Hugo Valdemar Bildnisse der Pacha Mama öffentlich.
Durch die katholische Medienlandschaft ging ein Aufschrei der Empörung.
Natürlich nicht, weil hier ein Bildnis einer schwangeren Frau lichterloh in Flammen stand oder im Tiber ertränkt wurde.
Was empfindet eigentlich ein „Lebensschützer“ und Abtreibungsgegner bei der Kraft solcher Bilder?

Die Empörung richtete sich gegen den Oberhirten, Papst Franziskus höchstpersönlich.
Wie kann er nur zulassen, dass so eine Frauenfigur aufgestellt wird?
Noch dazu distanzierte er sich von den Taten der Zerstörung der Pacha Mama-Bildnisse und entschuldigte sich bei allen, die sich durch die Entsorgung der Pachamama-Statuetten beleidigt fühlten.
Wie viele meinen, entschuldigte er sich da bei den Falschen. Denn wenn wer durch diese „Götzendienerei“ beleidigt wurde, dann sind es ja wohl Millionen von Katholiken.
Die „Wilden aus den Anden“, die Pacha Mama schon erheblich länger als ihre große Göttin anerkennen, als die Christen ihren Gott sind es ja wirklich nicht Wert, sich bei ihnen zu entschuldigen, diese Heiden! So viel zur christlichen Nächstenliebe.

Der Glaubenskonflikt

Aber die Katholiken können uns ja jetzt auch wirklich Leid tun.
Denn Millionen von ihnen tun sich jetzt echt schwer. Denn ein hoher Wert im katholischen Christentum ist die Papsttreue. Er gilt ja auch als unfehlbar.
Ein absoluter Gräuel stellt aber die Verehrung von „heidnischen Götzen“ dar.
Und die alte Erdgöttin ist ja „heidnisch“ und damit ganz, ganz böse!!!
Denn angeblich wurde ihr ja sogar geopfert! Huch, das ist ja den Christen ganz fremd, da hat ja Gottvater bloß seinen Sohn geopfert. Aber der darf das ja!
(Im übrigen gibt es bei den großen Festen zu Ehren der Pacha Mama viele wunderbare Weihegaben, aber keine „Opfer“. Der Unterschied ist den blutrünstigen Christen offenbar nicht ganz klar.)

Jetzt haben die solange missioniert (gerade auch in Lateinamerika) und waren dabei absolut nicht zimperlich und dann kommt im Jahr 2019 durch die Hintertür so eine dahergelaufene Weltenmutter daher.
Hat man da noch Worte?!

Diese findet der deutsche Kardinal Gerhard Müller. Er zürnt in einer Predigt:
„Was in Rom geschehen ist, ist ein Rückfall in heidnische Mythen statt einer Reinigung der Indio-Kultur im Lichte der Botschaft Christi.“

Genau! Diese schmutzigen Indios müssen jetzt aber wirklich ordentlich und endgülig gereinigt werden! Und mit ihnen auch gleich dieses Drecksweib, die Pacha Mama, die im indigenen Glauben die lebendige Erde verkörpert.
Aber natürlich, die sollen wir uns ja nach Gottes Willen Untertan machen.

Die Drachengöttinnen

Auf der Informationsplattform kath.net ist man darüber entsetzt, dass gerade dieser Papst, der mit seinem bürgerlichen Namen Jorge heißt – die spanische Form von Georg – sich für Pacha Mama einsetzt, ist sie doch eine „Drachengöttin“. Gerade ein Georg, der als Schutzpatron einen Drachentöter hat, sollte da echt aber auch anders handeln.

Und natürlich lässt man gleich zwei große Frauenfiguren gegeneinander antreten, denn „Auch die Gottesmutter Maria kämpft gegen den Drachen …“ (Zitat kath.net).
Aber das kennen wir ja, wenn in patriarchalen Systemen den Männern was nicht passt, dann wirft man gleich einmal Frauen ins Schlachtfeld, damit sich diese bekriegen.
Maria gegen Pacha Mama – das ist Brutalität!

Aber hoppala – da hat wer was nicht ganz verstanden.
Maria wird sehr häufig auf Bildnissen dargestellt, auf denen sie auf einer Schlange oder einem Drachen steht bzw. auf einer Erdkugel, um die sich Schlange oder Drachen windet. Schlangen und Drachen sind hier immer gleichbedeutend.

Der Drache ist der Inbegriff der weiblichen Erdkraft. Das zeigt Pacha Mama deutlich. Diese Energie haben sich aber auch die Christen zu eigen gemacht.
Auf keinen dieser Bildnisse kämpft Maria gegen einen Drachen, sondern sie zieht vielmehr Energie aus der Drachen-Erdkraft und ihre Füße ruhen sanft auf ihr. Dies weist auf die Erdverbun­den­heit der Muttergöttin hin. Diese Bilder sind meist mit der Unterschrift „Maria zertritt die Schlange“ versehen.
Die Bilder selbst sprechen aller­dings eine ganz andere Sprache. Hier zeigt sich Maria gut geerdet. Ein Kupferstich aus dem 15. Jahrhun­dert, der für eine Spielkarte verwendet wurde, ist eines von vielen schönen Beispielen, wie sich unter dem Rock von Maria eine lieb­li­che, ein­deutig weibliche Schlan­ge verbirgt, die voll Ver­trauen herausschaut. Ein Bild voll der Har­monie – wie von zwei sehr vertrau­ten Frauen.

So ist Maria keinesfalls Gegnerin der alten Andengöttin sondern vielmehr ihre legitime Nachfolgerin.
Denn in vielen Gebieten der Erde sind im Zuge der Missionierungstätigkeiten die alten Göttinnen in Maria umgewandelt worden – möglichst unter Beibehaltung von Riten, Attributen und heiligen Plätzen, an denen diese verehrt und gefeiert wurden.
Maria beherbergt (um nicht zu sagen – versteckt) unter ihrem Sternenmantel viele ihrer alten „Ahninnen“.

In der indigenen Kultur steht Pacha Mama nicht nur für die Erde, sondern das gesamte kosmische Gefüge. Sie wird daher von den indigenen Völkern eher als abstrakt wahrgenommen. Figuren von ihr kommen bei den Einheimischen des Amazonas nur sehr selten vor. Die Identifizierung der Weltenmutter mit einer Frau entstand erst durch den Einfluss der spanischen Kolonisten und der Missionierung, die großes Interesse daran hatte, das „Pacha Mama“-Konzept mit der katholischen Marienverehrung zu vermischen.

Müsste man(n) Maria nicht gleich mitverbrennen?

„Du sollst keine andere Götter haben neben mir“ lautet das erste Gebot.
Aha, und warum gibt es dann gerade im katholischen Gauben so eine inbrünstige Marienverehrung? (Ganz abgesehen von den vielen anderen Heiligen, in die man großes Vertrauen setzt.)
Wie ginge es wohl einem katholischen Christen und vor allem auch einer katholischen Christin, wenn Bildnisse der schwangeren Maria öffentlich verbrannt oder ertränkt würden?
Denn eigentlich wäre das die logische Konsequenz, die all diese bibeltreuen eifrigen Pfaffen und Lebensschützer ins Auge fassen müssten.

Und mit Maria gleich auch einmal alle Heilige, denn wozu braucht denn der christliche allmächtige Gott diese eigentlich?

Aber offenbar geht’s ohne diese gar nicht. Der Artikel in kath.net endet mit den Worten:
„Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampf. Gegen die Bosheit und die Nachstellungen des Teufels sei unser Schutz. Gott gebiete ihm, so bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stürze den Satan und die anderen bösen Geister, die zum Verderben der Seelen die Welt durchstreifen, in der Kraft Gottes hinab in die Hölle. Amen.“

Also die alte Erdmutter als Teufel, der vom Fürst der göttlichen Heerscharen hinab in die Hölle gestürzt werden soll?
Was wahrscheinlich einer Erdgöttin ohnehin nicht so viel ausmachen würde. Denn die „Hölle“, das ist ja das Unterirdische und damit die tiefe Kraft der alten Mutter Erde.

Pater Hugo Valdemar, der das Bildnis der Pacha Mama verbrannt hat, behauptet übrigens, dass die Figur der Pacha Mama eine Figur des Antichristen und eine Blasphemie sei und eine Parodie von Maria.
Nur: Pacha Mama gab es schon lange vor Maria. Also: Wer ist das Original und wer parodiert da wen?
Aber die Antichristen-und Blasphemie-These wurde Hugo Valdemar von einem Exorzisten ausdrücklich bestätigt!

Na dann! Dagegen kann wohl auch der Papst höchstpersönlich nichts ausrichten.
AMEN und HALLELUJA!

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Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Maria
Pachamama 

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Mehr zu Schlangen- und Drachengöttinnen kann man im artedea-eBook

Drachenfrau und Schlangenmädchen

nachlesen.

Die Schlange ist auch eines der Symbole im neuen artedea-eWorkshop:

Mit starken Frauensymbolen durch die Rauhnächte

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Für alle, die es interessiert, hier einige Links von eifrigen katholischen Medien zu diesem Thema:
Priester verbrennt in Mexiko Darstellungen der „Pachamama“
Widerstand gegen das Pachamama-Gräuel
Franziskus verteidigt Pachamama-Figuren – und entschuldigt sich bei den Falschen
Österreichischer Lebensschützer warf „Pachamama“-Figuren in Tiber
Artikel von kath.net

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Anmerkung: Ich habe Christen und Katholiken in diesem Blogbeitrag bewusst in männlicher Form geschrieben. Sollten sich davon auch Frauen angesprochen fühlen, sind sie selbstverständlich mitgemeint.

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Bildquellen:
Pacha Mama
artedea.net

Meister der Spielkarten, Maria zertritt die Schlange
de.wikipedia.org

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3 Antworten zu Der Papst und die alte Göttin

  1. Cornelia Nasarewytsch-Soukup sagt:

    Liebe Andrea,
    ich liebe deine Seite. Wenn mal ein bisschen Zeit ist stöbere ich und finde immer Hochinteressantes, so wie diesen Beitrag.
    Warum gibt es Maria, die Engel und die Heiligen – spannende Frage. Es wäre viel zu langweilig denk ich mir, wer will denn nur einen Freund, eine Freundin?
    Danke für dein Tiefschürfen und danke für das wunderschöne Marienbild
    Cornelia

  2. Pingback: Der Tag des heiligen Georgs – Drachentöter oder Landmann? | Oh Göttin

  3. Pingback: Der Papst und die alte Göttin | Oh Göttin – Kon/Spira[l]

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