Die Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche ist seit langer Zeit ein wichtiger Punkt im Jahr, der feierlich begangen wurde. Heute um exakt 10:37:42 MEZ ist es soweit – der Frühling beginnt.
Vielleicht nicht gerade der genaue astronomische Zeitpunkt, es ist jedoch anzunehmen, dass in alten Kulturen der erste Frühlingsvollmond
ein guter Zeitpunkt für ein Ritual oder Frühlingsfest war.
Als ein Sinnbild dieses Festes wird immer wieder Ostara genannt, die als keltisch-germanische Frühlingsgöttin gilt.
Ihre „Existenz“ ist allerdings nicht nachgewiesen.
Wenn wir von einer „Göttin Ostara“ und deren angeblich historischen fröhlichen Frühlingsfesten sprechen, müssen wir uns auch bewusst sein, dass mit ihr auch politische Ideologien in Verbindung gebracht, die wegbereitend für nationalsozialistische Ideen waren. Es erscheint daher sehr wichtig, sich auch mit dieser Seite der „Ostara“ auseinander zu setzen. Mehr dazu am Ende dieses Blog-Beitrags.
Göttin oder Kunstfigur?
Historisch und kulturwissenschaftlich wird angezweifelt, dass eine Göttin mit dem Namen Ostara oder auch Eostra tatsächlich verehrt wurde. Sie soll eher eine romantische Erfindung der Neuzeit sein, die u.a. von Jacob Grimm durch philologische Vergleiche eigentlich als Kunstfigur geschaffen wurde.
Grimm bezog sich dabei auf eine Quelle des angelsächsischen Benediktinermönchs und Kirchenhistoriker Beda (672 – 735). Dieser erklärte die Herkunft des Wortes „Easter“ (Ostern) mit einer früheren germanischen Göttin namens „Eostrae“.
Allerdings finden sich weder in der isländischen Dichtung der Edda noch in der skandinavischen Skaldendichtung Hinweise auf eine Göttin, die einer angelsächsischen Eastre entsprechen könnten. In der nordischen Literatur gibt es auch keine Göttin des Frühlings, des Ostens oder der Morgenröte oder des aufsteigenden Lichts mit diesem oder einem ähnlich klingenden Namen.
Etymologisch könnten allerdings die litauische Göttin Ausrine, die römische Aurora, die griechische Eos, die hinduistische Ushas und nicht zuletzt die syrische Astarte auf eine indogermanische Frühlingsgöttin mit ähnlichem Namen hinweisen.
Diese „Ahninnen“ der Ostara sind allesamt Göttinnen der Morgenröte bzw. der Morgendämmerung, sie steigen also verheißungsvoll jeden Morgen im Osten auf, um den neuen Tag zu bringen.
Und mit der Frühlings-Tag-und Nachtgleiche können wir ihr Licht im Osten mit jeden Tag früher spüren, sehen und begrüßen.
Erd-Zeugung
Es gibt auch Überlieferungen, denen zufolge „Os-tara” aus zwei alten Sprach- und Lautsilben besteht:
„Os” ist „Mund-Schoß-Erde-Geburt-Entstehung“ und „tar” bedeutet „zeugen“.
Ostara könnte also mit Erd-Zeugung übersetzt werden.
Auch die Himmelsrichtung Osten soll von dieser ersten Silbe hergeleitet sein. Das Erscheinen des Lichtes wurde immer im Osten erlebt.
Im Osten wird die Sonne „geboren“. Und dies von Frühlingsbeginn an jeden Tag ein wenig früher. Bis wir im Jahresverlauf zu Sommerbeginn schließlich den längste Tag haben.
Von diesem Zeitpunkt an werden die Tage dann wieder kürzer.
Unabhängig davon, ob nun historisch eine Göttin namens Ostara nachgewiesen werden kann oder nicht, können wir davon ausgehen, dass Menschen in allen Zeiten an die Kraft von „Göttinnen des Ostens“ glaubten – brachten diese jeden Morgen das Licht und im Laufe des Jahres den Frühling. Und damit standen sie für die Kraft von Wärme, Hoffnung und Zuversicht. Und für die Gewissheit, dass die zyklische Kraft funktioniert, und dass man sich auf diese verlassen kann: Dass auf Dunkelheit wieder Licht folgt, auf Kälte Wärme auf Kargheit Fruchtbarkeit.
Wenn wir also von einer – historisch nicht nachgewiesenen – Göttin Ostara reden, stellt sich die Frage: Müssen wir die Existenz einer Göttin oder ihre exakte Benennung nachweisen, um die Kraft des beginnenden Frühlings zu feiern?
Reicht es nicht, wenn wir jener Energie nachspüren, die uns an einem Frühlingstag erfüllt?
In diesem Sinne wünsche ich fröhliche-hoffnungsfrohe Ostara-Frühlingsfeste!
Umdeutung und Missbrauch einer Frühlingsgöttin
Wenn wir von einer Göttin namens Ostara sprechen, ist auch der Hinweis auf eine Schriftenreihe wichtig, die nach dieser angeblichen germanischen Frühlingsgöttin benannt und die von 1905 bis 1917 publizierte wurde. Diese Schriften waren von hochgradigem Rassismus geprägt.
Der Herausgeber und Autor dieser Hefte teilte darin nicht nur seine rassistischen und antiparlamentarischen Ansichten mit, die sich später in der sogenannten nationalsozialistischen Ideologie wiederfanden.
Die Schriften waren auch durch deutlichen Antifeminismus geprägt, was erstaunlich anmutet, da die Publikation ja einen weiblichen Namen trug.
Eine blonde germanische Frühlings- und daher reine Göttin als Namensgeberin zu erwählen, kann als Umdeutung und Missbrauch gewertet werden, der in der Geschichte immer wieder vorkommt.
Die Verachtung von realen Frauen drückte sich immer wieder dadurch aus, dass sie von Männern – wenn nicht gedemütigt, verniedlicht oder missbraucht – als überhöhte Gestalt dargestellt, vergöttlicht und verherrlicht wurden: Als eine, die in ihrer großartigen Tugendhaftigkeit Vorbild für alle Frauen sein soll, an das diese jedoch nie heranreichen können und von daher schon allein deshalb zu verachten wären. Ähnliches finden wir ja auch bei der christlichen Muttergöttin Maria.
Der Herausgeber der Schriftenreihe Ostara betrachtete „reale“ Frauen wegen ihrer vermeintlichen Promiskuität als eine Bedrohung der Reinerhaltung der „arischen Rasse“.
All das kann Assoziationen wecken, die befremden und von Frauen, die ein vergnügtes Ritual zu Frühlingsbeginn feiern möchten, ist dies sicher nicht erwünscht. Daher ist dieses Hintergrundwissen und die Auseinandersetzung damit wichtig, wenn wir von einer Göttin und ihrem Fest namens Ostara sprechen.
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Dieser Text ist ein Auszug aus dem artedea-eBook
Ostara – Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche:
Die Rückkehr des Lebens
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Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Astarte
Aurora
Ausrine
Eos
Maria
Ostara
Ushas