Gebet an die Saatgöttinnen am 24. Januar

Würden wir im Alten Rom leben, gäbe es heute was zu feiern: Am 24. Januar begannen die Saatferien „feriae sementinae“ zu Ehren der beiden Göttinnen Tellus Mater und Ceres.
Hintergrund dieses Festes: Die Aussaat des Getreides begann im Herbst und dauerte bis in den Januar hinein. Die gesamte Zeit wurde von Zeremonien begleitet.
Nach der Göttin Ceres wurden ja nicht nur die Cerealien sondern auch die Zeremonien genannt.
Überliefert ist eine große Zeremonie zu Beginn der Saatzeit im Herbst. Gefolgt von den Saturnalien im Dezember, wo am 19. Dezember die üppige Göttin Ops mit dem Fest Opalia gewürdigt wurde. Und schließlich folgte am Ende der Aussaat im Januar das Fest der Paganalien, mit dem die „Saatferien“ begannen.
Es handelt sich dabei um ein – vom Datum her – bewegliches Fest, das aber je nach Witterung meist zwischen dem 24. und dem 27. Januar abgehalten wurde.

Alles soll nun ruhen

Denn spätestens jetzt war der Erdboden gefroren und alles konnte von der Saat ruhen – die Erde und ihre BearbeiterInnen sowie auch die Tiere.
Die Ackergäule standen nun bekränzt an der vollen Krippe und erst mit Frühlingsbeginn gab es wieder für sie zu tun.
Dieses Fest wurde den Überlieferungen nach als großes gemeinsames Ereignis eines „pagus“ d.h. eines ländlichen Verbandes von mehreren Dörfern und Bauernhöfen begangen. Es schien mit großer Heiterkeit gefeiert worden zu sein. Die Mühe und Arbeit der Aussaat war vorbei. Alles, was Menschen für ein ertragreiches Vegetationsjahr und eine gute Ernte tun konnten, ist zu diesem Zeitpunkt getan.
Jetzt ging es darum, das weitere Schicksal der Saat in die Hand der beiden Göttinnen Tellus Mater und Ceres zu legen und diese wurden auch entsprechend gewürdigt, angerufen, ja um ihre Mitwirkung angefleht, das wertvolle Saatgut von allerlei Unbill zu beschützen.
Als Weihegaben für die beiden Göttinnen gab es nach der Aussaat des neuen Getreides Kuchen und es wurde „Fleisch ausgesät“.
Dazu ist ein sehr beeindruckender Text eines Gebetes erhalten geblieben, der von Ovid aufgezeichnet wurde:

Besänftigt die Mütter der Feldfrüchte Tellus und Ceres, 
die mit dem Schrote in ihrem Leib schwanger sind,
jetzt mit eigenem Spelt (Getreide für Ceres),
jetzt mit dem trächtigen Schwein! (für Tellus).
Ist es doch die Pflicht der Gemeinde, die Göttin Ceres, die Erde zu schützen: 
Keimen lässt diese die Frucht, Raum gibt jene dafür. 
Ihr, die Mächte, die halfen, dass Unkultur man überwand und 
dass die Eichel als Kost wich, dass vernünftig man speist.
Sättigt mit reichsten Erträgen die Bauern, 
dass sie den Lohn auch empfangen, die ihre Arbeit verdient! 
Schenkt beständigen Wuchs den zarten Keimen der Saaten, 
lasset nicht im eisigen Schnee eingehen das sprossende Grün! 
Säen wir, helle uns den Himmel dann auf durch heitere Winde; 
ist die Saat geborgen, so sprenge himmlisches Nass auf sie! 
Seid auf der Hut, dass sie, die den Feldern schaden, die Vögel, 
nicht verheerend im Schwarm herfallen über das Korn! 
Schont auch, ihr Ameisen, dann die Körner im Schoße der Erde: 
Ist nach der Ernte für euch größere Beute ja da! 
Unterdessen wachse die Saat, und der Rost (Anm: Getreiderost) bleibe fern ihr; 
durch ein Unwetter soll bleich werden niemals die Saat! 
Dürre schade ihr nicht, noch ersticke im eigenen Wuchse 
jemals der Halm, weil er sich höher, als gut ist, erhebt! 
Fern auch bleibe der Flur das den Augen so schädliche Tollkorn (Anm: Mutterkorn).
Auf dem bebauten Feld wachse der Windhafer nicht! 
Weizen jedoch und Dinkel, der zweimal das Feuer erduldet (zwiefach geröstet), 
bringe – und Gerste dazu! – reichlich der Acker hervor! 
Drum bitt´ ich für euch, ihr Bauern, erbittet´s auch selbst euch! 
Mögen die Göttinnen dann beide erfüllen den Wunsch!

Der Lohn der Arbeit

Irgendwie hat dieses Gebet an die beiden Göttinnen über die mehr als 2.000 Jahres seine Magie behalten, findet ihr nicht auch?
Manche Textstellen sind erstaunlich aktuell, wenn auch vielleicht in einem etwas anderem Sinne. Wie etwa jene Zeilen, indem darum gebeten wird, dass die Bauern auch jenen Lohn empfangen, den ihre Arbeit verdient.
Ich denke dabei vor allem an die Produktion unserer Lebensmittel und anderer Artikel unseres täglichen Bedarfs in Billiglohnländer.
Oh Göttin, mögen die Menschen jenen Lohn erhalten, der ihrer Arbeit gerecht wird!
Wir brauchen das aber nicht unbedingt in die Hand der Göttinnen zu legen, sondern können natürlich entscheidend dazu beitragen, indem wir fair erzeugte und gehandelte Waren kaufen.

Gut dargestellt ist in diesem Text auch der historische Übergang der Menschheit auf veredelte und kultivierte Nahrungsmittel. Wie groß die Freude, nicht mehr auf die „Eicheln als Kost“ angewiesen zu sein. Wieviel körperliche und geistige Kraft unserer Vorfahren hat es gebraucht, damit wir „vernünftig speisen können. Und wie selbstverständlich ist uns das geworden – zumindest in unseren Breitengraden.

Wie feiern wir unsere Saat?

Und was kann alles geschehen, dass die Saat nicht aufgeht?
Jetzt ist es ja so, dass die meisten von uns nicht mehr am Acker und Felde säen.
Aber natürlich gibt es auch in unserem Leben, in unseren Arbeitswelten so etwas wie eine „Saat“. Z.B. in Form eines gut durchdachten und ausgearbeiteten Konzeptes, einer Lernphase (vor Prüfungen), vorbereitenden Arbeiten, bevor wirklich etwas in Angriff genommen, umgesetzt wird.
Stellt sich die Frage: Was sind hier die „Vögel“, „Ameisen“, die „Dürre“, die „Unwetter“ und der „eisige Schnee“, der ein zartes Pflänzchen eingehen lässt?
Wie würde das Resultat aussehen, wenn sich der „Halm höher, als gut ist, erhebt“?
Was wären für unsere Saat die „heitere Winde“ und das „himmlische Nass“?

Und ich stelle mir auch die Frage, wann ich zuletzt den Abschluss der schwierigen und arbeitsreichen Phase der „Aussaat“ gebührend und fröhlich gefeiert habe – mit allen, die mitgewirkt haben. Und mir und ihnen danach eine Ruhepause, „Saatferien“, ein Innehalten gegönnt habe, bevor die nächste Arbeitsphase beginnt.

Ich habe das Gefühl, da können wir uns an einiges wieder erinnern, was im Alten Rom so ganz selbstverständlich war.
Also in diesem Sinne: Feiern wir, gönnen wir uns Saatferien!
Warum nicht heute gleich damit anfangen. Vom Datum her würde es ja optimal passen!

******************

Für alle, die des Lateins mächtig sind, hier noch der Originaltext von Ovid.
(Ich habe mit meinen spärlichen Latein-Fragmenten aus dem Gymnasium eine vorhandene Übersetzung ein wenig korrigiert. Freue mich aber über weitere sachdienliche Hinweise!)

Placetur frugum matres, Tellusque Ceresque, 
Farre suo gravidae visceribusque suis: 
officium commune Ceres et Terra tuentur; 
haec praebet causam frugibus, illa locum. 
Consortes operis, per quas correcta vetustas 
Quernaque glans victa est utiliore cibo, 
Frugibus immensis avidos satiate colonos, 
Ut capiant cultus praemia digna sui. 
Vos date perpetuos teneris sementibus auctus, 
Nec nova per gelidas herba sit usta nives. 
Cum serimus, caelum ventis aperite serenis; 
cum latet, aetheria spargite semen aqua. 
Neve graves cultis Cerialia rura cavete 
Agmine laesuro depopulentur aves. 
Vos quoque, formicae, subiectis parcite granis: 
post messem praedae copia maior erit. 
Interea crescat scabrae robiginis expers 
Nec vitio caeli palleat ulla seges, 
et neque deficiat macie nec pinguior aequo 
divitiis pereat luxuriosa suis; 
et careant loliis oculos vitiantibus agri, 
nec sterilis culto surgat avena solo; 
triticeos fetus passuraque farra bis ignem 
hordeaque ingenti fenore reddat ager. 
Haec ego pro vobis, haec vos optate, coloni, 
efficiatque ratas utraque diva preces.

******************

 

Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Ceres
Ops
Tellus Mater

Dieser Beitrag wurde unter Göttinnen abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert