Göttinnen-Kultort als europäische Kulturhauptstadt

Gestern hat die griechische Hafenstadt Eleusis mit einer großen Feier ihr Europäisches Kulturhauptstadt-Jahr eingeleitet. Die VeranstalterInnen benutzen bewusst den altgriechischen Stadtnamen Eleusis und nicht den heutigen Namen Elefsina, um auf die Wichtigkeit der Stadt in der Antike hinzuweisen.
Das Motto der Festivitäten lautete „Geheimnisse des Übergangs“ („Mysteries of Transition“). Mit Musik und Tanz zeigte die Inszenierung das, wofür Eleusis in der Antike stand: Dort fanden nämlich die sogenannten Eleusischen Mysterien statt, eine Art Geheimkult, mit dem jährlich die Neugeburt der Natur gefeiert wurde. Und dabei ging es – natürlich – um Göttinnen. Und das möchte ich euch hier gerne erzählen.

Das Drama um Tochter und Mutter

Die Zentralfigur der Eleusischen Mysterien ist Demeter. Aber es sind auch noch andere Göttinnen im Spiel. Demeter ist als Göttin des reifen Kornes für ertragreichen Ernten und die Ernährung des Körpers zuständig, sie ist aber auch die spirituelle Mutter und Ernährerin des Geistes.

Und kein anderer Ort als Eleusis könnte besser für diese „Geheimnisse des Übergangs“ stehen. Dies erschließt sich im Mythos von Demeter, der erzählt, dass ihre Tochter Kore von deren Onkel Hades, unterstützt von ihrem Vater Zeus in die Unterwelt entführt worden ist. Demeter war über alle Maßen über den Verlust ihrer Tochter erschüttert. In ihrer Trauer und in tiefem Schmerz zog Demeter ihre Lebenskraft von der gesamten Vegetation zurück.
Damit verwandelte sie die grüne reifen Erde erstmals in ihre goldgelbe herbstliche Erscheinungsform bis schließlich der Winter seine kalte Decke über das Land zog. Demeter verfluchte in ihrer verzweifelten Sehnsucht nach ihrer geliebten Tochter das gesamte Wachstum und alles, was fruchtbar auf der Erde ist.
Damit legte sich großes Leid über die Welt. Kein Kind wurde mehr geboren, keine Knospe öffnete sich mehr, das Getreide gedieh nicht mehr. Der Tod erstreckte sich über das ganze Land. Rasend vor Schmerz begab sie sich auf der Suche nach ihrer verschwundenen Tochter.
Sie weiß nicht, wo diese ist, da Hades unbemerkt von allen aus einer Erdspalte empor gestiegen ist und Kore zu sich in die Unterwelt hinab gezogen hat.

Hekate und Baubo als göttliche Helferinnen

Einzig die alte Hekate hatte vernommen, dass jemand eines Morgens „Gewalt! Gewalt!“ geschrien hatte. Hekate informiert Demeter von ihrer Wahrnehmung. Indess hallten die Hilfeschreie der Kore tief unter der Erde wider und sprangen wie ein dumpfes Echo von jedem Stein, sie gurgelten wie Quellwasser unter den sieben Meeren, und so vernahm Demeter den Hilferuf ihrer Tochter. Hekate war die einzige, die Rat wusste und Demeter bei ihrer Suche nach Kore unterstützte.

Und Achtung: Jetzt kommt Eleusis ins Spiel. Auf der Suche nach ihrer Tochter kommt Demeter unerkannt ins Haus des Keleos, Herrscher von Eleusis und wird freundlich aufgenommen. Im Hauses des Keleos verhüllt sie allerdings ihr Gesicht, schweigt, verweigert den Begrüßungstrunk und isst nichts.
Eines Tages setzt sie sich an den Brunnen und schreit den Namen ihrer Tochter hinein. 
Und nun kommt noch eine Göttin ins Spiel: Baubo.
Sie empfindet starkes Mitgefühl mit der verzweifelten Demeter und möchte sie trösten. Sie reitet daher auf einem Schwein zu Demeter am Brunnen.
Die Göttin war aber nicht zugänglich für tröstende Worte. Um Demeter ein wenig abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen, tanzt Baubo wild und erzählt ein paar obszöne Witze.
Da sie aber keinen Mund hatte, ließ sie ihre Vagina sprechen. Sie hob ihr Kleid und grinste Demeter mit ihrer sprechenden Vulva frech an. Dieser etwas eigenartige Anblick entlockte Demeter dann doch ein Lachen. Sie vergaß kurz ihren Schmerz und lauschte den Witzen der Baubo.
Beide lachten, während sie noch am Brunnenrand saßen, so sehr, dass Hades neugierig wurde, an die Oberfläche stieg und nach einigem Hin und Her Demeters Tochter aus der Unterwelt entließ. Und so geschah es, dass die Erde, die Felder, die Meere und die Bäuche der Frauen (ob Mensch, ob Tier) wieder fruchtbar wurden.

Der Trick mit den Granatapfelkernen

Zeus, den Demeter zuvor bat, mit Hades zu reden und die gemeinsame Tochter zurückzubringen, war anfangs gar nicht bereit, etwas für die verzweifelte Demeter zu tun.
Er riet ihr, sich mit dem neuen Schwiegersohn, der gleichzeitig ihr Bruder war, abzufinden.
Demeter fühlte sich von beiden Brüder verraten und getäuscht. Schließlich soll Zeus dann doch Hades überredet haben, Kore zu ihrer Mutter zurückkehren zu lassen.
Hades sagte dies zu, benutzte allerdings einen Trick, um sie doch für sich zu behalten: Er gab ihr, bevor sie zu Demeter zurückkehrte, einen Granatapfel zu essen. Niemand konnte nämlich zu den Lebenden zurückkehren und dabei etwas aus der Unterwelt mitnehmen.
Demeters Tochter, die in ihrem Unterweltsaspekt nicht mehr Kore sondern Persephone genannt wird, hatte aber noch sechs Kerne dieses Apfels in ihrem Bauch.
Zeus verhandelte daher mit Hades, ob diese Kerne dafür stehen, dass Persephone etwas aus der Unterwelt in die Welt der Lebenden mitnimmt.
Man einigte sich: Sie muss immer wieder zu Hades zurückkehren, aber sechs Monate des Jahres als Kore bei ihrer Mutter leben, dann ist Frühling und Sommer auf Erden.
Die anderen sechs Monate (im Herbst und im Winter) muss sie als Persephone bei Hades in der Unterwelt verbringen. Die alte Göttin Hekate hat über die Einhaltung des Vertrages zu wachen.

Ab- und Aufstieg der Göttin in Eleusis

Während ihrer Mutter um sie kämpfte, wandelt sich Kore, das ehemals junge, behütete, unbekümmerte Mädchen durch ihren Aufenthalt in der (seelischen) Schattenwelt drastisch. Sie erscheint als gereifte, ja geläuterte Göttin Persephone wieder.
Das Geheimnis des Übergangs in Eleusis bedeutete für sie daher nicht nur die Schwelle zur Unterwelt, sondern auch den Wandel von einer jungen zu einer reifen Frau.

Da Persephone in Eleusis der Unterwelt wieder entstiegen ist, wurde mit den Eleusischen Mysterien jedes Jahr der Abstieg von Kore zu Herbstbeginn betrauert.
Zu diesem Zwecke wurde u.a. die letzte geerntete Getreidegarbe rituell mit dem Wunsch nach einer Wiedergeburt in eine Krippe gebettet.
Im zweiten, ausschweifenderen Teil dieser Mysterien wurde die Rückkehr von Persephone in die Welt der Lebenden, also der Frühlingsbeginn gefeiert.
Da sie während ihres Aufenthaltes in der Unterwelt Samen – die Kerne des Granatapfels und damit ein Symbol des Lebens – aß und diese in ihrem Bauch an die Oberwelt trug, steht ihre Wiedergeburt symbolisch für die Auferstehung allen pflanzlichen Lebens im Frühjahr und im größeren Rahmen allen Lebens auf Erden.

Wirkungsvolles religiöses Vorbild

Bei diesen Eleusischen Mysterien handelt es sich um die ältesten bekannten Mysterienkulte Griechenlands. Nach Aristoteles fanden sie bereits 1500 Jahre v.u.Z. statt. Eleusis bedeutet soviel wie „Advent“. Die Hauptriten der Mysterien galten der Ankunft des göttlichen Kindes und damit der Geburt des Lichts und der Hoffnung.
Dieses Mysterium rund um Tod und Auferstehung eines göttlichen Kindes diente in vielen Epochen danach noch als wirkungsvolles religiöses Vorbild. Dieser Kult verbreitete sich von Sizilien nach Rom, wo Demeter und Persephone als Ceres und Proserpina verehrt wurden.

Im beginnenden Christentum stand man diesen Mysterien wegen ihres offenkundig sexuellen Charakters feindlich gegenüber. Die „jugendfreie“ Variante rund um den göttlichen Sohn eines göttlichen Vaters ähnelt aber in weiten Zügen — angefangen von der Krippe bis hin zur Auferstehung — stark dem viel älteren Demeter-Mythos.
Die bäuerliche Bevölkerung Griechenlands verehrte Demeter das ganze Mittelalter hindurch als Große Göttin. Noch im 19. Jahrhundert wurde sie in Eleusis als die „Gebieterin über Erde und Meer“ bezeichnet.

Es heißt, Demeter hätte den Menschen die Kunst der Kultivierung der Böden gebracht und damit viel zu einem friedfertigen Miteinander beigetragen, musste man nicht mehr um Territorien und Jagdreviere kämpfen. Die Begründung des Ackerbaus schaffte ganz andere Strukturen des Zusammenlebens.
Daher gilt Demeter auch als die Schöpferin von Gemeinschaftsstrukturen und gab den Menschen Gesetze, all das wurde in den Einweihungs- und Fruchtbarkeitsrituale der Eleusischen Mysterien gefeiert.

Dies alles klang also wohl mit in den Festivitäten der Kulturhauptstadt 2023 in Eleusis. Die Kraft der Verwandlung, die Zusammenarbeit der Göttinnen, die geballte Frauenkraft und auch die Hoffnung, dass aus patriarchalen Schrecken eine „Auferstehung“ möglich ist.
Möge dieser uralte Mythos hinaus in die Welt strahlen und die „Geheimnisse des Übergangs“ Frieden und segensreiche Frauenkraft bringen.

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Mehr zu den erwähnten Göttinnen:
Baubo
Ceres
Demeter
Hekate
Kore
Persephone
Proserpina

Bildquellen:
alle Göttinnenbilder: artedea.net
Demeter-Brunnen in Eleusis / TimeTravelRome / commons.wikimedia.org

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