Na sowas: Da wurde jetzt in Mexiko eine neue Marienstatue aufgestellt, die deutliche Züge zweier uralter Göttinnen trägt, nämlich jene von Coatlicue und jene von Tonantzin, die auch als „Jungfrau von Guadalupe“ bekannt ist.
Ja dürfen’s denn das?
Umfangreiche Proteste sind die Folge.
Es gibt eine elektronische Petition – 33.000 Unterschriften sind schon eingegangen.
Der Protest richtet sich gegen einen wesentlichen Punkt: Die Skulptur vermische das wichtigste christliche Symbol von Mexiko mit Elementen einer alten Religion, über die das Christentum vor 500 Jahren gesiegt hat.
Alle Aspekte des Lebens
Coatlicue sei eines Todesgöttin und das würde so gar nicht zur Gottesmutter Maria passen.
Nein, nein, die hatte mit dem Tod (vor allem mit jenem ihres Sohnes) ja auch gar nichts zu tun und sie ist ja auch noch nie Trost suchend angerufen worden, nachdem Menschen gestorben sind.
Coatlicue gilt für viele MexikanerInnen immer noch als Mutterfigur, die aber alles zerstört, was sie erschafft.
Ja, so ist das! Viele, viele alte Göttinnen tragen diesen Aspekt in sich. Sie stehen für den gesamten Kreislauf des Lebens, sie gebären und nehmen am Ende des Lebens wieder alles in ihrem Mutterschoß wieder auf.
Also Coatlicue ausschließlich auf ihren Aspekt der Todesgöttin zu reduzieren, das wäre echt zu wenig.
Wer war die Erscheinung?
Sehr interessant auch die „Jungfrau von Guadalupe“: Alles, was mit der Erde in Verbindung gebracht wird – der Boden selbst, die Felder, die Feldfrüchte wurden in der aztekischen Mythologie als die mütterliche Figur Tonantzin identifiziert.
Tonantzin bedeutet in der Sprache Nahuatl „Unsere Heilige Mutter“ und sie war eine Fruchtbarkeitsgöttin für das Land und die Menschen. Sie ist daher auch die Beschützerin der Mutterschaft und gebietet über die Mondzyklen.
Als 1531 nach einer frommen Überlieferung dem Bauern und Weber Juan Diego Cuauhtlatoatzin viermal eine schöne Frau erschienen ist, war für den Franziskanerbruder Juan de Zumarraga schnell klar:
Das muss die Jungfrau Maria sein!
Juan Diego Cuauhtlatoatzin nahm diese weibliche Gestalt in einer leuchtenden Wolke auf einem Mond schwebend wahr, umrahmt von einem Regenbogen, Harfenklang, Engelsgesang und Wohlgeruch. Die Gestalt selbst – eine schöne, dunkelhäutige Frau – trug die typische Kleidung von Tonantzin und hatte alle Merkmale und Attribute der alten Göttin.
Sie sprach mit dem Mann in seiner Sprache Nahuatl und nannte ihn auch bei seinem Kindheitsnamen (der Name Juan Diego wurde ihm von den spanischen Eroberern gegeben).
Sie bat um den Bau einer „Kirche“ an dieser Stelle, von der sie den Menschen ihre Liebe als mitleidvolle Mutter zukommen lassen wolle.
Nun stellt sich schon einmal die Frage, was sie mit „Kirche“ gemeint hat, wenn ihre Kultstätte kurz davor zerstört wurde, in Nahuatl gibt es wohl kaum ein Wort für Kirche im katholischen Sinn.
Der fromme Franziskanerbruder bekam es gleich einmal mit der Angst zu tun, der „Eingeborene“ wolle ihm zu Wiedererrichtung des alten Göttinnen-Tempels bewegen. Daher wurde recht schnell zuerst der Bau einer katholischen Kapelle veranlasst, später eine Basilika erbaut. Sie ist das wichtigste Heiligtum Mexikos und eines der bedeutendsten Marienheiligtümer der Welt.
Auf frommen Darstellungen der „Jungfrau von Guadalupe“ fallen vor allem zwei Dinge auf: Sie steht in einem Strahlenkranz, der eigentlich die Form einer Vulva hat. Und der Mond zu ihren Füßen besagt, dass sie Mexiko beschützt, denn das Wort „Mexiko“ bedeutet in der Sprache der AztekInnen „im Bauch des Mondes“ (ME = Mond, XI-ctli = Bauch, CO = in).
Heute kann die Personalunion der „Jungfrau von Guadalupe“ mit Tonantzin als Inbegriff der mexikanischen Seele bezeichnet werden.
Sie ist quer über alle ethnischen Gruppen hinweg das Symbol der nationalen Einheit.
Synkretismus und die Meinung des Erzbischofs
Der neu errichteten Marienstatue wurde übrigens der Name „Synkretismus“ gegeben. Synkretismus ist in erster Linie die Synthese religiöser Ideen oder Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild. Voraussetzung ist, dass sich diese Ideen oder Philosophien zuvor als inhaltlich voneinander unterschieden abgegrenzt haben, und dass sie als religiös-philosophische Teilaspekte auf einen Absolutheitsanspruch verzichten. Synkretismus nimmt vielmehr die Aspekte unterschiedlicher Religionen mehr oder weniger bewusst auf und formt sie zu etwas Neuem.
Der mexikanische Erzbischof Robles Ortega verteidigt im Übrigen die Skulptur, was ihm die Protestbewegung auch ankreidet. Er könne zwar verstehen, dass es Menschen gebe, die an der Statue Anstoß nehmen würden, doch seien das „einfache Leute“, die den Sinn des Bildnisses nicht verstehen könnten.
Ich hingegen glaube, dass es gerade diese „einfache Leute“ sind, die sehr wohl die Wirkung der alten Muttergöttinnen verstehen.
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Weitere Informationen zu den erwähnten Göttinnen:
Coatlicue
Maria
Tonantzin
Bildquellen:
artedea.net
Gnadenbild Unsere Liebe Frau von Guadalupe – de.wikipedia.org/