Man kann’s eigentlich nicht glauben.
Im 23. Jahr des 21. Jahrhunderts gibt es immer noch Dinge, die mit einem großen Tabu belegt sind.
Also nicht etwa etwas ganz Außergewöhnliches, sondern etwas völlig Normales. Zumindest für Frauen.
Bingo: Ich spreche von der Menstruation.
Warum tue ich das gerade heute?
Am 28. Mai ist nämlich der Tag der Menstruationshygiene. Dieser wurde 2014 von der Berliner Organisation WASH United ins Leben gerufen, um das Schweigen über das Thema Menstruation zu brechen und um ein größeres Bewusstsein zum Thema Menstruation im Allgemeinen und Menstruationshygiene im Besonderen zu schaffen.
Und es hat sich in den letzten Jahren tatsächlich einiges getan. In der Menstruatiosprodukte-Werbung gibt es mittlerweile tatsächlich rotes Blut statt blauer Ersatzflüssigkeit. Zumindest vereinzelt. Zudem gibt es zunehmend alternative Produkte zu den herkömmlichen Tampons oder Slipeinlagen (siehe z.B. Erdbeerwoche, Rotmarie oder ALMO). Und viele Länder haben die Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte gesenkt. In Schottland gibt es seit kurzem überhaupt freien Zugang zu Menstruationsprodukten. Die kostenlose Bereitstellung von Hygieneartikeln für Frauen ist dort in öffentlichen Gebäuden verpflichtend. Das wäre doch etwas für ein (zumindest EU-weites) Gesetz.
Menstruieren ist teuer
Dennoch ist Menstruationshygiene für viele Frauen ein finanzielles Problem. Frauen müssen im Laufe ihres Lebens tausende Euro für Hygieneprodukte für ihre Menstruation ausgeben. Laut einer vor Kurzem veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International ist in Österreich jede zweite Frau von der sogenannten Periodenarmut betroffen. Jede Zweite!
53 Prozent der Befragten würden sich besser mit Hygieneartikeln versorgen, wenn diese günstiger wären. In der jüngsten Gruppe sagten dies sogar 68 Prozent. Jede dritte Frau gab an, dass die monatlichen Ausgaben für die notwendigen Produkte für sie eine finanzielle Belastung darstelle.
17 Prozent sagten laut der Analyse, dass sie den Wechsel von Tampons, Binden oder Slipeinlagen bewusst hinauszögern, um länger damit auszukommen. Das erhöht allerdings das Risiko von Infektionen. Jede Vierte versucht wegen der Kosten, möglichst wenige Periodenprodukte zu verbrauchen.
Die gesamte Studie ist HIER verfügbar. Fazit der Studie: Menstruation ist ein gesamtgesellschaftliches Thema. Ziel ist es, bis 2030 eine Welt zu schaffen, in der die Menstruation etwas völlig Normales ist und keine menstruierende Person aufgrund der Periode daran gehindert wird, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Menstruationsneid und Männermenstruation
Die wertvolle Körperfunktion, der monatliche Zyklus der Frauen, durch den schließlich neues Leben entstehen kann, ist nach wie vor ein Tabu-Thema. Immer noch gelten für die Mehrheit aller Frauen zwei ungeschriebene Regeln im Umgang mit Menstruation: Verschweigen und Verstecken.
Warum aber liegt immer noch so ein großes Tabu auf der Menstruation oder auf der blutenden Frau?
Vielleicht deswegen, weil die Menstruation so etwas Großartiges ist: Das Monatsblut als Schöpfungsflüssigkeit. Frauen bluten ohne verletzt zu sein oder dran zu sterben.
Und ja, es gibt tatsächlich so etwas wie einen Menstruationsneid. Viele blutige patriarchale Riten lassen jedenfalls darauf schließen. Das geht von sogenannten Piercing-Sonnentänzen der indigenen Männer Amerikas über die Opferungen geschlachteter Tiere bis hin zum christlichen Kreuzestod.
Bei manchen Stammesgemeinschaften in Südostasien, Australien, Südamerika, Südindien oder Papua-Neuguinea wird die sogenannte „Männermenstruation“ durch das Aufritzen des Penis herbei geführt.
Warum tun Männer sich das an? Im archaischen Glauben so mancher Kulturen war man der Auffassung, dass die Erde, um fruchtbar zu werden, Blut braucht. Das könnte ganz einfach Menstruationsblut sein, das Frauen in die Erde fließen lassen. Das war sicher auch Jahrtausende lang so.
Mit dem Aufkommen patriarchaler Ideen wollte man(n) das nicht mehr Frauen überlassen und daher sollte auch Männerblut die Erde nähren.
Das heilige und machtvolle Frauenblut
Die moderne Matriarchatsforscherung hat zahlreiche Indizien dafür gefunden, dass die Menstruation in früheren Zeiten als heilig galt. Und viele der archaischen Bräuche weisen darauf hin, dass die Menstruation mit einer besonderen Macht in Verbindung gebracht wird.
Mit dem Menstruationsblut, so war man der Auffassung, könnte so mancher Zauber ausgeführt werden und die Frauen können dieses sowohl auf heilsame, als auch auf schädigende Weise einsetzen.
Diese Macht wollten die Männer den Frauen nicht alleine zugestehen, deshalb müssen auch sie Blut vergießen.
Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass in patriarchalen Gesellschaften genau aus der Angst vor der „mächtigen blutenden Frau“ die Menstruation abgewertet, verdammt, als ekelig oder gar giftig dargestellt werden musste.
Denn zu allen Zeiten war die Menstruation für Männer unheimlich, das was Frauen da tun, hat ihnen Angst eingejagt.
Ganze Abhandlungen finden sich in Schriften über die Epochen hinweg, die beschreiben, wozu menstruierende Frauen fähig wären: Von ihnen berührte Früchte werden nicht mehr reif, Senf verdirbt, Wein und Milch wird sauer, Gras vertrocknet, Eisen verrostet, Messer werden stumpf und die Luft wird düster. Wenn Hunde am Menstruationsblut lecken, so würden sie tollwütig. Und das sind jetzt nur die harmloseren Varianten der Kraft, die von menstruierenden Frauen ausgehen sollen.
Unrein, gefährlich und verschämt
Im antiken Griechenland glaubte man, dass alles Lebende, womit eine menstruierende Frau in Berührung gekommen war, dem Tode geweiht ist.
Im Juden- und Christentum, im Hinduismus, im Islam und einigen anderen Religionen sind Frauen während ihrer Monatsblutung von religiösen Riten ausgeschlossen, weil sie deren Wirkungslosigkeit oder schlimmer, dessen Umkehrung bewirken können.
Im Christentum war man der Auffassung, dass die Menstruation die Strafe für die Verfehlung Evas sei. Und noch heute ist es menstruierenden Frauen verboten, eine Moschee zu betreten, den Koran zu berühren und im Judentum gilt eine menstruierende Frau als nidda (unrein), solange bis sie die nötigen Rituale durchgeführt hat, die sie wieder als rein gelten lassen.
Andere Zeiten, andere Kulturen, könnten wir jetzt sagen.
Aber mal ganz ehrlich: Welche Frau sagt in illustrer Runde, zumindest in einer, bei der auch Männer anwesend sind: „Wer kann mir mal mit einem Tampon aushelfen?“
Da wird herumgetuschelt, als würde man unter Freundinnen mit Drogen dealen.
Die Göttinnen der Menstruation
Ein paar Zahlen: 100 Millionen Liter Blut fließen jeden Monat ganz ohne Kampf und Verletzung.
Im Durchschnitt menstruieren Frauen rund 500 Mal in ihrem Leben. Sie verbringen also rund 3000 Tage mit ihrer Menstruation, also 7- 8 Jahre. Das Menstruationsblut enthält 385 einzigartige Proteine, die nicht im normalen Blut vorkommen.
All das hat natürlich auch beigetragen, dass viele Göttinnen mit der Menstruation, ihrem heiligen Mondblut in Verbindung gebracht werden:
Atiersang, die tibetische Göttin des Frauenbluts erscheint auf Thangkas, also spirituellen Rollbildern immer wieder als Göttin zwischen zwei Frauen, von denen eine das göttliche Menstruationsblut auffängt, die andere eine Lotusblüte in der Hand hält. Sie gibt ihr göttliches Blut als Heilmittel und Zaubersubstanz an andere Frauen weiter. Denn viele Zaubermittel der Bön, der vorbuddhistischen Einwohnerinnen Tibets, brauchen Frauenblut, um wirksam zu sein.
Die griechische Göttin Styx wird auch als das Menstruationsblut der Erde angesehen.
Das Menstruationsblut gilt in vielen Mythen als die heiligste und heilendste Substanz, die es gibt.
Diese kann auch unsterblich machen. Achilles, der Held der Ilias, wird von seiner Mutter, der Göttin Thetis, im Blut der Styx gebadet, was ihn unverwundbar machte. Sie hielt ihren Sohn allerdings an der Ferse fest. Damit war diese die einzige Stelle, die nicht gebadet wurde und daher verwundbar war. Diese „Achillesferse“ wurde ihm zum Verhängnis.
Nach den Schriften des Zarathustra kam mit der Göttin Jahi die Menstruation in die Welt, denn sie menstruierte zum ersten Mal nach ihrer Vereinigung mit der Schlange Ahriman, die sie zuvor gebar.
Jahi verkörpert auch den Mond, der als die eigentliche Ursache der Menstruation angesehen wurde.
Im Mythos der sumerisch-babylonische Ur- und Schöpfungsgöttin hat die Göttin Tiamat ganz allein die Schöpfungsflüssigkeit erzeugt.
Diese besteht nicht aus Samenflüssigkeit, sondern aus Menstruationsblut. Dieses soll drei Jahre, drei Monate und drei Wochen lang aus der Göttin geflossen sein und das Rote Meer gebildet haben. Noch heute wird die Ostküste des Roten Meeres „Tihamat“ genannt.
Lilith soll, nachdem sie Adam verlassen hat, weil sie sich weigerte, auf die vom männlichen Gott vorgesehenen Art mit ihm sexuell zu verkehren, über das Rote Meer geflüchtet sein. Es heißt auch, sie „gebar“ mit ihrer Menstruation das Rote Meer. Dieses gilt auch als Symbol für rote Frauenkraft.
Auch die indische Kali gilt als die ursprüngliche Tiefe, das menstruale Blutmeer der Schöpfung.
Das Blut der griechischen Medusa soll so mächtig gewesen sein, dass sie damit Leben kreieren oder Tod bringen kann. Mit diesem Blut ist wahrscheinlich das Menstruationsblut gemeint, das in vielen Völkern als mächtiges Zaubermittel galt. Naturvölker glauben oft, dass der Blick einer menstruierenden Frau einen Mann in Stein verwandeln und damit töten kann. Und Medusa gilt ja auch als die Göttin des wilden Blickes und des „weisen Blutes“. Und damit steht sie vor allem auch für den Schutz der Frauen.
Bei den EtruskerInnen sowie im antiken Rom galten Zahlen, Kalender, Berechnungen, Aufzeichnungen und Tabellen aller Art als magisch und heilig. Personifiziert werden diese als die Göttin Mensa. Das lateinische Wort „mensa“ bedeutet übersetzt „Tabelle“
Auffällig ist der gemeinsame Wortstamm einerseits mit „mensis“ – „Monat“ sowie „mens“ – Geist und natürlich auch mit „Menstruation“.
Frauen orientieren sich zeitlich meist wesentlich besser als Männer, weil sie Zeitstrukturen und -abläufe alleine schon durch ihren Menstruationszyklus verinnerlicht haben. Das ist die Gabe der Göttin Mensa.
Diese Frauen-Sache
Und wenn wir schon bei den alten Göttinnen sind. Es gibt auch ganz aktuelle.
Für mich zählt die chinesische Leistungsschwimmerin Fu Yuanhui dazu: Nach dem 4×100 Staffel-Schwimmen der Frauen bei den Olympischen Spielen in Rio 2016, bei dem das chinesische Team mit Rang 4 knapp das Treppchen verpasste, hatte Fu eine simple Erklärung für ihre eigene Leistung: „Ich habe gestern Nacht meine Periode bekommen. Ich fühle mich sehr schwach und müde.“
Bereits ein Jahr davor hatte die britische Tennisspielerin Heather Watson Aufsehen mit einem ähnlichen Kommentar erregt. Nach ihrer Niederlage in der ersten Runde bei den Australian Open sagte sie zu einem BBC-Reporter: „Es war eben einer dieser Tage bei mir, diese Frauen-Sache.“ Mit der noch etwas umschriebenen Frauen-Sache hat sie möglicherweise Fu Yuanhui den Weg bereitet, die Sache beim Namen zu nennen.
Kiran Gandhi steht 2015 an der Startlinie für den London Marathon. Ein Jahr lang hat sie trainiert, um dabei zu sein. Sie hat nicht damit gerechnet, dass die Blutung ausgerechnet an der Startlinie losgeht. Hastig geht sie die Möglichkeiten durch. Binde? Schlechte Idee für einen 42-Kilometer-Lauf. Tampon? Würde der Wattestopfen nicht ihre Leistung beeinträchtigen?
Und überhaupt: Der allererste Tag der Periode! Sollte sie etwa die ganze Zeit mit Ersatztampons in der Hand rennen? Und wo sollte sie den Tampon auswechseln?
Also traf Kiran eine Entscheidung, die bis heute nachhallt: Sie lief den Marathon und das Blut lief ihr die Beine runter, ohne Tampon. Das Foto der blutbefleckten orangen Hose der Läuferin ging um die Welt. „Ich hätte niemals gedacht, dass daraus eine so große Sache wird“, sagt Kiran im Rückblick.
Und jüngst sorgte eine Aussage der US-Schiläuferin Mikaela Shiffrin für ungewollte Heiterkeit. Die 27-Jährige war nach ihrem 84. Weltcupsieg müde und begründete dies bei einem Interview mit ihrem Menstruationszyklus, was ein wichtiges Zeichen ist, über die natürlichste Sache der Welt auch ganz normal zu reden: „I‘m kind of in an unfortunate time of my monthly cycle“. Übersetzt wurde das in „Ich komm nicht mal zum Radfahren, was ich sonst immer mach jeden Monat.“
Hier ist der youtube-Clip dieses Interviews.
Das von Shiffrin verwendete englische Wort „cycle“ (Zyklus) ist dem Wort „cycling“ (Fahrradfahren) verhängnisvoll ähnlich.
Daraufhin zeigte Shiffrin Humor und postete auf Instagram ein Video, das zunächst den TV-Fauxpas und danach sie selbst beim Trainieren am Hometrainer zeigt. Unterlegt ist es mit einem Klassiker von Queen: „Bicycle Race“ (Fahrradrennen).
Dazu stellte sie unter dem Video klar: „Nur für den Fall, dass noch jemand verwirrt ist … es ist meine Periode. Wir reden über meine Periode“. Shiffrin erhielt nach dem Interview in den sozialen Medien viel Zuspruch, da die Menstruation nach wie vor häufig als Tabu-Thema gilt. Auch unter dem Video vom Donnerstag dankten ihr viele Frauen für ihre Offenheit.
Auch die österreichischeJustizministerin Alma Zadic von den Grünen meldet sich via Instagram. Die Spitzenpolitikerin sitz auf einem Ergometer und radelt ihre Kilometer herunter: „Hi Mikaela! Alles Gute für dein nächstes Rennen. Danke, dass du über die monatliche Periode sprichst. Es sollte normal sein, darüber sprechen zu können. Und wie fast alle Frauen sitze ich auch mindestens einmal im Monat auf dem Rad“, scherzt Zadic. (HIER zu sehen)
Es tut sich also was, Frauen. Ein Raunen ging nach diesen „sportlichen Leistungen“ nicht nur durch die Sportwelt. Viele Frauen waren froh, dass endlich Frauen mit dem Tabu „Menstruation“ gebrochen hatten. Tragen wir unseren Teil dazu bei!
Für unsere Töchter und all die Frauen, die nach uns kommen und die sich für die allernatürlichste Körperfunktion nicht mehr schämen sollen.
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Große Empfehlung:
Die wunderbare Gabriele Pröll hat vor kurzem ein wichtiges Buch herausgebracht:
Mein Rotes Fest – Die Regeln für die Regel machen wir uns selbst!
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Mehr Infos zu den Göttinnen, die in in diesem Blogbeitrag erwähnt sind: