Muttertag: Peinliche Dankbarkeitsinszenierungen oder frauenpolitisches Statement?

Erstellt am 12. Mai 2018 von maribar24

Same procedure as every year?
Den Muttertag zu ignorieren können wir uns kaum vorstellen. Wieviel authentische und adäquate Gefühle bringen wir den Müttern an diesem Tag wirklich entgegen? Wie praktisch: Dieser Tag ist voll von standardisierten Ritualen und Geschenken: Blumen, Pralinen, ein Gedicht, früher noch die obligatorische Einladung ins Restaurant, in Pandemie-Zeiten lassen wir uns ein Catering kommen.
Ein Festtag für Kaufleute, jetzt vor allem den Online-Handel. Praktische Haushaltsgeräte sind immer noch hoch im Kurs, damit es das Mütterlein an den 364 anderen Tagen im Jahr leichter hat. Oder eine Antifalten-Creme, damit man ihr die Strapazen nicht so ansieht.


Jedenfalls: Ein oft peinlicher Tag für die Familien, vor allem für die Mütter selbst.
Dennoch: Mütter und Väter, Töchter und Söhne geraten an diesem Tag oft in eine ausweglose Situation, die kein Entkommen zulässt.

Wo liegen die Wurzeln des Muttertags?
Im England des 13. Jahrhunderts wurde unter Heinrich III. der „Mothering Day“ eingeführt.
Da ging es aber nicht um die leiblichen Mütter. An diesem Freudensonntag sollten die Menschen vielmehr die „Mutter Kirche“ ehren. Da das aber offenbar zu abstrakt war, wurde das vom einfachen Volk schnell umgewandelt, und die Kinder besuchten an diesem Tag bald ihre Mütter und brachten kleine Geschenke oder selbst gebackenen „mothering cake“ mit.

Der Muttertag so wie wir ihn heute kennen, geht auf eine Initiative der US-Frauenrechtlerin Anna Jarvis zurück.
Frauenrechtlerin – das lässt aufhorchen! Bereits ihre Mutter, Ann Maria Reeves Jarvis, war der Wohltätigkeit verschrieben und organisierte während des amerikanischen Bürgerkrieges sogenannte Mother’s Friendship Days mit dem Ziel, den Verwundeten beider Seiten das Notwendigste zukommen zu lassen.

Allumfassende Mütterlichkeit

Es ging ihr also um „Mütterlichkeit“, die viel mehr mit einschließt, als die Liebe und Fürsorge zu den eigenen Kindern: Die Solidarität mit den anderen Müttern, denn jeder Mensch (auch ein „Feind“) hat eine Mutter, die sich um ihren Nachwuchs sorgt und glücklich ist, wenn eine andere Frau sich zu diesem „mütterlich“ verhält.
Diese allumfassende Mütterlichkeit finden wir übrigens auch in vielen Mythen der alten Muttergöttinnen.

Anna Jarvis (die Tochter) wurde nach dem Krieg für den „Muttertag“ aktiv. Sie wollte ihre eigene Mutter ehren und zugleich auf die Probleme vieler Frauen aufmerksam machen. Sie verstand ihn als Feiertag, der auf Pazifismus und Sozialdienst basierte.
Am 8. Mai 1914 erließ der US-Kongress eine Resolution: Der zweite Sonntag im Mai soll als Muttertag gefeiert werden. Die Idee wurde bald darauf in England, in der Schweiz und in Skandinavien aufgegriffen. Schnell flammte aber auch Kritik an der wachsenden Kommerzialisierung des Festtags auf. In Deutschland gab es den ersten Muttertag 1923, initiiert nicht mehr von Frauenrechtlerinnen, sondern – man höre und staune – vom „Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber“.
Anna Jarvis sah die Wandlung zum reinen Geschenktag kritisch und versuchte, den Muttertag wieder abzuschaffen, was ihr aber nicht gelang.

Heldenmutter, Gebärmaschine, Mutterkreuz

Der Muttertag kam in Deutschland der Nazi-Ideologie sehr entgegen. Schnell wurde er in das ideologische Gedankensystem eingebaut. Die Wertschätzung der – natürlich nur „arischen” – Mutter entsprang der ihr zugedachten Rolle als Heldenmutter, Garantin des Fortbestandes der Rasse und Gebärmaschine der so dringend benötigten Kriegshelden. Ein eigener Orden, das „Mutterkreuz”, ehrte kinderreiche Mütter. Dies bekam Frauen, wenn sie mindestens 4 Kinder geboren haben, das mussten „Lebendgeburten“ sein von Kindern, die „deutschblütig“ und „erbtüchtig“ waren.
Aber nicht jede Mutter vieler Kinder war der Auszeichnung würdig, sie musste zudem „erbgesund“, „anständig“ und „sittlich einwandfrei“ sein. Was immer wir uns darunter vorstellen können, vor allem, wenn sie diese Kategorien nicht erfüllte. Welche Schmach für eine Mutter mehrerer Kinder, wenn sie das Mutterkreuz nicht bekam.
Damit war ganz offensichtlich, dass mit ihr etwas nicht stimmen kann.
Wieviel dieses Gedankengutes schwingt in uns noch mit? Wie hat eine Mutter zu sein?
Wie „anständig“ und „sittlich einwandfrei“. Wo ist da unser persönliche soziales Limit im Kopf?

Tag der Abschaffung patriarchaler Mutterideologien

Das bringt mich zum Muttertag als (frauen-)politisches Statement. Als Tag, an dem die Rechte von Frauen auf selbstbestimmte Mutterschaft, auf Nicht-Mutterschaft, auf queere Mutterschaft oder Patchwork- und Alleinerzieherinnen-Mutterschaft eingefordert werden.
Sollten wir nicht – anstatt der alljährlich wiederkehrenden, oft so verlogenen und peinlichen Dankbarkeitsinszenierungen, die vor allem dem Blumenhandel und der Gastronomie zugute kommt – den „Tag der Abschaffung patriarchaler Mutterideologien“ ausrufen?
Oder die individuellen und gesellschaftlichen Zumutungen durch Mutterschaft ins Zentrum rücken.

Und was hält deine Mutter von all dem?
Der Muttertag wäre ein gegebener Anlass, mit ihr über ihr Leben und ihr aufgrund ihrer Mutterschaft nicht gelebtes Leben zu reden. Interessiert, ehrlich, mitfühlend. Und sie auch zu fragen, was sie sich wünscht, im allgemeinen und speziell für diesen Tag, anstelle der üblichen Blümchen-Pralinen-Kaffee und Kuchen-Orgie.

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Bildquellen:
Muttergöttin Ischtar – artedea.net
Anna Jarvis/de.wikipedia.org/Olairian

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