Hui, was für eine Aufregung!
Da sieht man doch glatt im Jahresrückblick der österreichischen Wochenzeitung „Der Falter“ ein Bild mit einer nackten weiblichen Brust!
Vorlage ist das Gemälde von Jacob Jordaens aus dem Jahr 1616 „Die Heilige Familie mit Hirten“.
Was genau ist hier geschmacklos?
Die Gesichter wurden auf dem Falter-Bild allerdings durch Porträts einiger bekannter österreichischen Personen ersetzt.
Die Maria aus dem Ursprungsgemälde ist nun Susanne Thier, die Freundin des mehrfach zurückgetretenen Politikers Sebastian Kurz, die jüngst Mutter geworden ist.
Quer durch die Polit- und Medienlandschaft erschallt sofort der Ruf: Empörend, grauslich, sexistisch, dreckig und geschmacklos.
Wie kann man nur!
Was ist damit gemeint? Dass der Maler Jordaens vor über 400 Jahren Maria mit nackter Brust dargestellt hat oder dass der Kopf von Frau Thier darauf montiert wurde?
Dass nicht sie, sondern ein Modell aus dem 17. Jahrhundert hier halb entblößt dargestellt wird, müsste eigentlich klar sein.
Aber darum geht es eigentlich gar nicht. Die Frage ist, was so grauslich, empörend und geschmacklos an einer Darstellung einer Frau mit einem Säugling ist, dem sie offenbar gerade ihre Brust reicht.
Der denkwürdige Abend mit der Signora
Dazu möchte ich eine kleine persönliche Geschichte erzählen. Da wir in zwei Tagen „Modraniht“ – die „Nacht der Mütter“ feiern (siehe auch diesen Blogbeitrag), passt dieser ganz gut in diese Zeit.
Sie erzählt von einer ganz besonderen Frau und Mutter.
In der vierten Klasse Volksschule kam eine neue Schülerin in meine Klasse, mit der ich mich anfreundete. Bald bekam ich mit, dass ihre Mutter „alleinerziehend“ war und erst kurz davor mit ihren drei Kindern, meiner neuen Freundin und deren beiden älteren Brüder nach Wien gezogen war. Eine alleinerziehende Mutter war damals schon an sich recht exotisch.
Was mich aber wirklich begeisterte: Die Mutter meiner Freundin war so ganz anders als alle Frauen, die ich kannte. Sie war eine wirklich temperamentvolle, überaus hübsche Italienerin, die nicht nur allein ihren Haushalt und die Familie auf die Reihe bekam, sondern sich in Wien angekommen, auch sofort selbstständig machte – mit einer Innenstadtboutique mit exquisiter italienischer Mode.
La Signora brachte ein wenig Glanz und Glamour in unsere biedere Welt der beginnenden 70-er-Jahre.
Es ergab sich, dass meine Eltern eine Abendeinladung aussprachen, zu der zwei weitere Ehepaare geladen waren und sozusagen als Special Guest die italienische Signora. Während sich meine Mutter und ihre beiden Freundinnen in der Küche zu schaffen machten und Sandwiches vorbereiteten, saß Signora mit den drei Herren im Wohnzimmer und plauderte. Ich habe sie nur kurz am Beginn des Abends gesehen, wir Kinder wurden anschließend zu Bett geschickt, ich kann mich nur erinnern, dass sie atemberaubend aussah, gekleidet wie die junge Gina Lollobrigida, der sie auch ein wenig ähnlich sah. Nebenstehend ein Bild der Schauspielerin, damit man eine ungefähre Vorstellung hat.
Den weiteren Verlauf des Abends weiß ich übrigens nur aus Erzählungen, die mein Vater Jahrzehnte später noch zum besten gab.
Signora saß also mit den drei Herren in unserem Wohnzimmer und es herrschte offenbar eine heitere, um nicht zu sagen, angeheiterte Stimmung. Mein Vater und seine Kumpels machten einige anzügliche Bemerkungen über das ausladende Dekolleté unseres Gastes und dessen üppigen Inhalt. Flirten ging damals in den 70-ern offenbar so.
Und jetzt kommts: Signora greift daraufhin mit einer Hand in ihren Ausschnitt, holt eine Brust heraus und präsentierte sie den drei Herren mit den Worten:
„Nix for Mann – for Kind!“
Die sind vor lauter Schreck und Entsetzen fast von ihren Stühlen gekippt.
Und ich war als Zehnjährige unglaublich fasziniert über diese Schlagfertigkeit, den Mut und die Grandezza, die die Signora angesichts einer offenbar sich anbahnenden sexuellen Belästigung an den Tag legte.
Vor allem aber auch über den Inhalt ihrer Worte. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der das Stillen eines Säuglings noch überaus peinlich war und nur versteckt durchgeführt wurde. Zumindest in unseren Breitengraden. Bei der italienischen Mamma und ihren drei Bambini war das offenbar schon damals ganz anders und viel natürlicher.
Meine Mutter fand es noch anno 1990 zutiefst empörend, dass eine Abgeordnete der Grünen ihr Kind im öffentlichen Raum des Parlaments ihr Kind stillte. Das entwürdigt doch das Hohe Haus, sagte sie.
Wie bitte? Das Allernatürlichste, das es auf der Welt gibt, nämlich dass eine Mutter ihr Kind ernährt, ist entwürdigend?
Wo sind die Zeiten, in denen das Stillen in der Öffentlichkeit noch als ein emanzipatorisches Zeichen angesehen wurde? Und das Ablegen von BH’s und Bikini-Oberteilen von Frauen als Akt der Befreiung von bürgerlichen Zwängen angesehen wurde.
Die Aufregung in Österreich war damals groß und schlug hohe Wellen sogar bis Spanien. Allerdings ging es in der spanischen Berichterstattung nicht um den „Skandal des Stillens im Parlament“, sondern darum, dass die SpanierInnen nicht verstehen konnten, warum das in Österreich für einen derartigen Wirbel sorgte.
Spanierinnen, Italienerinnen und andere Mütter der südlichen Länder Europas hatte also offenbar schon immer einen viel entspannteren Zugang zu der natürlichsten Sache der Welt – die Ernährung eines Säuglings. Nicht von ungefähr sieht man sogar in vielen Kirchen fromme Gemälde der Sakralmalerei, die die sogenannten „Maria lactans“, die stillende Maria zeigen. Das Originalgemälde der Heiligen Familie von Jacob Jordaens hängt übrigens völlig öffentlich und ohne jegliche Kritik im Metropolitan Museum in New York.
Ohne Brüste wäret ihr alle schon längst verhungert
Jetzt komme ich nochmals auf das Falter-Bild und die damit verbundene Empörung zurück:
Überall sehen wir nackte Brüste, in den Tageszeitungen und Magazinen, in der Werbung und auf Kalenderblättern, die die Jungs in ihren Spinden hängen haben. Kein Mensch regt sich über diese sexistischen Darstellungen mehr auf. (Leider!)
Zeigt man eine Brust allerdings in jenem Zusammenhang, für die sie „Mutter Natur“ vorgesehen hat, als Nahrungsquelle für Babys, dann ist das gleich geschmacklos, widerwärtig, herabwürdigend.
Für alle Moralaposteln, die sich hier so entrüsten: Gäbe es die weiblichen Brüste nicht und diesen wunderbaren Lebenssaft, der aus ihnen kommt, dann wäret ihr alle schon lange nicht mehr hier, sondern ein paar Tage nach eurer Geburt verhungert!
Das, worüber ihr euch wirklich empören könntet, sind die Inhalte, die im Jahresrückblick des Falters so gut geschildert und dokumentiert werden.
Ich zitiere jetzt noch einen Lesebriefschreiber der „Kleinen Zeitung“, die das Falter-Bild thematisiert: „Wären über 2000 Zumpferl Bilder auf dem Falter Bild, wäre das für die Türkise Familie unproblematisch und tolerierbar. Aber ein Brustwarzerl geht gar nicht. Mir kommt bei dieser heuchlerischen Bande echt das kotzen.“
Die scheinheilig empörten Moralisten und Moralistinnen vor allem aus der türkis-schwarzen Riege sollten sich der Frage von Armin Turnherr in seiner „Seuchenkolumne“ anschließen: „Was ist obszön …: der gemalte barocke Nippel einer barocken Madonna mit Frau Thiers aufmontiertem Antlitz oder die Untat, um eines persönlichen politischen Vorteils willen alleinerziehenden Frauen mehr als eine Milliarde für die Nachmittagsbetreuung von Kindern zu entziehen …“
Ehren wir die weibliche Brust endlich für das, wofür sie geschaffen ist – und noch einmal: NEIN, es geht dabei nicht um Männer und deren Lustbefriedigung, sondern um Kinder und deren Nahrung.
Frau Thier wünsche ich im übrigen das Allerbeste. Möge sie die Zeit mit ihrem neugeborenen Sohn genießen und sich ihres wunderbaren Körpers erfreuen, der das Wunder eines neuen Lebens hervorgebracht hat. Ich hoffe sehr, dass sie mit ihrem Baby innige Stunden verbringt, in denen sie es nährt, wiegt und kost.
**********
Bildquellen:
Ausschnitt aus: Die Heilige Familie mit Hirten / Jacob Jordaens / meisterdrucke.com
Gina Lollobrigida / Ivo_Lollobrigida_2.jpg / commons.wikimedia.org
Jean Fouquet – Jungfrau und Kind / Web Gallery of Art / commons.wikimedia.org
Danke für diese großartigen Zeilen; Du hast mich zum Schmunzeln gebracht.
LG Elena
Pingback: Nix for Mann – for Kind! | Oh Göttin – Kon/Spira[l]