Der 27. Januar ist der Tag des Lesens und Schreibens. Im Jahr 1999 wurde er in Kanada als „Family Literacy Day“ eingeführt – mit dem Ziel, sich innerhalb der Familie Zeit zu nehmen, um gemeinsam zu lesen. Vor allem, um Kinder in dieser wichtigen Kompetenz zu fördern, deren Ausdrucksfähigkeit zu stärken und sie damit auch zu ermutigen, selbst zu schreiben. Also es geht dabei wohl nicht nur um die rein mechanische Fertigkeit des Schreibens sondern auch darum, Phantasie zu entwickeln, Gedanken und Gefühle niederzuschreiben, sich literarisch und poetisch auszudrücken.
Uralte Künste, deren enorme Wichtigkeit schon vor Jahrtausenden erkannt werden. Das kommt sehr deutlich in den Mythen rund um Göttinnen zum Ausdruck.
Natürlich geht es da zu allererst einmal um die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben.
Für viele Menschen ist das ja ganz selbstverständlich.
Nach einer Studie, die 2014 von der UNESCO durchgeführt wurde, können allerdings weltweit 781 Millionen Menschen nicht lesen und schreiben.
Das muss natürlich differenziert betrachtet werden. Nach wie vor gibt es Kulturen, in denen das Wissen mündlich – mit Erzählungen und Gesängen weitergegeben wird – so wie es seit ewigen Zeiten üblich ist.
Was allerdings bedenklich stimmt, ist die Tatsache, dass in Ländern, in denen Lesen und Schreiben Grundvoraussetzung der Bildung ist, die gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung erst möglich macht, nach wie vor rund zwei Drittel der Frauen Analphabetinnen sind.
Vom Entschlüsseln der Buchstaben bis zur hohen Dichtkunst
Und: Alphabetisiert sind wir ja immer nur in unserer eigenen Schrift und Sprache (und vielleicht in Fremdsprachen, die wir uns angeeignet haben). Das ist mir persönlich bewusst geworden, als ich das erste Mal in Griechenland war. Komm in ein anderes Land mit anderen Schriftzeichen und du kannst nicht einmal mehr ein Straßenschild lesen. Ein Thema, das hochaktuell ist, speziell für die Menschen, die aus dem arabischen Raum nach Europa kommen.
Lesen ist natürlich viel mehr als das Entschlüsseln von Buchstaben. Und etwas geschliffen formuliert schreiben zu können ist der Schlüssel für individuelle Lebenschancen.
Schreiben und Lesen ist also über das rein Technische hinaus so wichtig, weil durch aktives Auseinandersetzen mit der Schrift Wortschatz, Sprachgebrauch und Konzentrationsfähigkeit gebildet und gefördert werden. Durch das Lesen werden Ausdrucksmöglichkeiten und Kommunikationsvermögen erweitert.
Und es entfaltet sich mit der Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, das wunderbare Geschenk der Poesie, die vielen wunderbaren Phantasien, die die Weltliteratur für uns bereit hält.
Schreibkunst als Gabe der Frauen
Wer hat all das „erfunden“?
Es gibt zahlreiche Mythen, die davon erzählen, wie eine Göttin den Menschen die Schrift gebracht hat. Das zeigt deutlich, dass die Schreibkunst eine Gabe ist, die Frauen – in Form von Göttinnen – zugeschrieben wurde. Umso schlimmer, dass so viel mehr Frauen Analphabetinnen sind.
So hat in den hinduistischen Mythen die Göttin Sarasvati neben der Musik, den Tanz, den Gesang, der Mathematik, den Kalender und der Magie auch die Poesie in die Welt gebracht. Dazu erfand sie natürlich auch die Schrift. Durch ihre Worte soll alles in die Welt kommen, was gerufen wird. Sie hält daher auch in einen ihrer vier Hände die heiligen Schriften, meist in Form einer Schriftrolle.
Sehr interessant ist die Verbindung aller Wissenschaften, wie Sprache, Schrift, Mathematik und Musik mit Magie. Sind doch all diese Gaben der Sarasvati magische Mitteln, mit denen man die Welt verändern, verzaubern, transformieren kann.
Besonders in Bengalen ist es Sitte, dass kleine Kinder am Festtag der Sarasvati das erste Mal in ihrem Leben einen Buchstaben schreiben. Andere schreiben mit „weißer Tinte“ (Milch) Segenssprüche oder ein „Om“ in ihre Bücher.
Während des großen Navaratri-Festivals legen die Menschen, vor allem die Studierenden, Bücher, Schreibzeug und Musikinstrumente vor das Bild der Göttin, damit ihre Weisheit hineinfließen möge und um ihre Gnade und ihren Segen zu erhalten.
In der sumerisch-babylonischen Geschichte wurde Nisaba als Schutzgöttin aller Schriften und der Schreibkunst verehrt. Ihr Emblem ist ein Schreibgriffel und das Schreibrohr. In ihrer Funktion als Göttin der Schreibkunst wurde sie von den KeilschriftschreiberInnen angerufen.
Sehr interessant gerade im Zusammenhang des „Family Literacy Day“ sind Darstellungen der christlichen Großmuttergöttin Anna, die ihrer Tochter Maria das Lesen lehrt. Bilder einer Weisheitsgöttin, einer Mutter, der die Bildung ihrer Tochter wichtig ist. Diese zeigen Anna und Maria, wobei eine der beiden ein Buch hält, in das beide konzentriert und in das Lesen versunken hineinschauen. Seltene Darstellungen zeigen die erwachsene Maria auch mit dem Jesuskind, daneben Anna mit dem Buch auf den Knien.
Eine Bezeichnung der nordische Schicksalsgöttinnen Nornen ist „Die Schreiberinnen“. Sie enthüllten die Geheimnisse des Universums und schreiben diese in das Buch des Schicksals. Skuld, die Norne der Zukunft hält in jeder Hand ein ungeöffnetes Buch oder eine zusammengerollte Schriftrolle. Sie trägt aber auch einen Schleier, denn sie verhüllt noch das, was in diesem Buch geschrieben steht und noch kommen wird.
Bei den griechischen Moiren wird Lachesis meist mit einer Schriftrolle dargestellt. Sie ist damit sozusagen eine Art „Protokollchefin“ über das Schicksal der Menschen.
In der nordischen Mythologie heißt es auch, die Göttin Idun hätte die Runenschrift erfunden. Sie verleiht als Hüterin der goldenen Äpfel ewige frühlingsgleiche Jugend und Unsterblichkeit. Die Schrift sei ein weiterer Weg zur Unsterblichkeit der Seele.
Die DichterInnen im antiken Griechenland konnten sich des Wohlwollens der Göttin Athena sicher sein.
Im antiken Ägypten wachte die Katzengöttin Bast neben den Künsten wie Musik, Tanz auch über die Schriftstellerei.
Von der germanische Freya wird berichtet, dass sie alle Arten der Kunst liebt und fördert, insbesondere die Poesie und Dichtkunst und dort vor allem das Liebeslied.
Die Göttin Gunnlöd ist in der nordischen Mythologie die Mutter der Dichtkunst und als solche Hüterin der Kessel mit dem „Skaldenmet“ im Inneren eines Berges. Dies war ein Honigmet, der aus dem Blut des allwissenden Wesens Kwasir gebraut wurde.
Wer davon trinkt, wird alsbald von poetischer Inspiration erfüllt, kann gut singen und dichten und beherrscht meisterlich die Skalden- oder Sagadichtung.
In Japan ist Benzaiten die Göttin der Sprache und der Literatur.
Interessant, dass gerade immer wieder Flussgöttinnen mit der Kunst des Schreibens in Verbindung gebracht werden. Als Göttin des nach ihr benannten Flusses Benzaiten beschützt sie alles Fließende – also auch die Wörter und die Sprache, die fließen soll, die Eloquenz, das Wissen, das nicht stillstehen darf sowie die Wellen und Schwingungen der Musik.
Das hat sie z.B. gemeinsam mit der irischen Göttin Boann, nach der der Fluss Boyne benannt ist. Im alten Irland zählten Poetinnen und Poeten auf ihre Gabe. Es heißt, wenn sie von Boann geküsst werden, dann verleiht sie damit die Quelle der Inspiration und gewährleistet einen guten Schreib-Fluss.
Mehr Infos zu den erwähnten Göttinnen:
Anna
Athena
Bast
Benzaiten
Boann
Idun
Freya
Gunnlöd
Lachesis
Maria
Moiren
Nisaba
Nornen
Sarasvati
Skuld