Warum Hirten? Waren sie arm? Und hüteten sie Schafe?

Keinesfalls Randfiguren im biblischen Geschehen um die Geburt des Messias sind die Hirten. Vielmehr haben sie eine bedeutende Schlüsselrolle.
„Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll. Denn euch ist heute in der Stadt Davids der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr. Und das sei für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt, in der Krippe liegend. “ (Lukas, Kapitel 2, Vers 8-12)

Was ist hier falsch? Das Datum oder die Hirten?

Wie wir bereits wissen, befinden sich Ende Dezember in diesem Landstrich keine Hirten mit ihren Herden auf den Weidegründen. Also kann eine der beiden Angaben nicht stimmen: Das Datum oder die Hirten.
Man geht ja meist davon aus, dass das Datum nicht stimmt.
Aber nehmen wir einmal an, das Datum stimmt und die Hirten sind dazu erfunden. Warum wäre das so wichtig?
Die Figur der Hirten ist eng mit der biblischen Weihnachtsgeschichte verbunden und auch besonders gut für die „Public Relations“ des späteren Messias.
Die Engel bringen also die Botschaft von der Geburt des Heilands zuerst den Hirten.
Eine bedeutsame Angelegenheit, die in keiner Christmette fehlen darf. Warum?
Da wird oft und gerne erzählt, dass ähnlich wie Zöllner auch Hirten in dieser Zeit von den herrschenden Kreisen gering geschätzt und sozial benachteiligt wurden.
Damit wollten die Verfasser der Weihnachtsgeschichte ganz offenbar zum Ausdruck bringen, dass der neue Heiland für Arme und Verachtete da war, also kein „König“ der hochgestellten Klasse werden wird.

Das ist eine der theologischen Kernbotschaften der Hirtenerzählung:
Jesus Christus kommt nicht zuerst zu den Reichen, Mächtigen und Perfekten.
Nein, er richtet sich zu allererst an die Armen, Geächteten und Wehrlosen.
Zu arm und geächtet gleich einiges ein wenig weiter unter im Text.
Wehrlos waren die Hirten sicher nicht. Sie mussten immerhin eine ganze Herde gegen wilde Tiere verteidigen. Also können wir uns – sollten sie tatsächlich am Jesus-Kripplein gestanden sein – ein paar raue, wilde Kumpanen vorstellen.

Die zweite theologische Botschaft, die die Verfasser mit der Hirtengeschichte vermitteln wollten: Hirten gaben ein bekanntes archaisches Bild ab, auf dem man gut anknüpfen und aufbauen konnte.
Auch im Alten Testament stößt man immer wieder an entscheidender Stelle auf die Figur des Hirten, der sich um seine Herde kümmert:
So war auch David, der bedeutendste König der jüdischen Geschichte, ursprünglich ein Hirte. Weil er sich so gut um seine Schafe und Ziegen kümmerte, sagte Gott über ihn: „Wer so klug für seine Tiere sorgt, ist auch ein guter Hirte für meine Schafe. Darum soll er Israel hüten!“ (Sprüche der Väter 2:1)
Auch Moses war Hirte. Er weidete das Vieh seines Schwiegervaters Jitro. Später wurde er „Hirte seines Volkes“ genannt, weil er die Israeliten durch die Wüste führte.
Ebenso waren die biblischen Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob Hirten.
Also ist möglicherweise hier die geheime Botschaft versteckt, dass all diese Vorväter an der Krippe standen?

Waren die Hirten arm und geächtet?

In den Weihnachtsgottesdiensten wird besonders gerne betont, dass als erstes die „armen“ Hirten auf dem Felde auf Jesus aufmerksam gemacht wurden.
Aber, wie so oft sieht die Realität anders aus: Hirten waren damals nämlich gar nicht arm, sie besaßen viele Tiere, große Herden.

Es war der häufigste Beruf jener Zeit. Die Viehwirtschaft leistete einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft, die Schafe lieferten Fleisch, Milch und Wolle für Kleidung. Also von arm und unterprivilegiert kann wohl kaum die Rede sein.

Noch etwas ist interessant an der Hirtengeschichte:
Große Teile der biblischen Texte laufen ja nach dem immer selben Schema ab.
Zuerst eine Behauptung von höchster Stelle (in diesem Fall von einem Engel) und anschließend der „Beweis“, dass die Behauptung stimmt.
Und schwupp-di-wupp schon ist ein „Wunder“ gebastelt.

Dass die Hirten genau das fanden, was ihnen vom Engel gesagt wurde, soll die Glaubwürdigkeit des Textes der Weihnachtsgeschichte und alles, was daraus folgt erhöhen.
Denn ein Kind, das in einer Krippe liegt, ist streng genommen kein Beweis für irgendetwas, es ist ja sicher kein Heiligenschein über seinem Kopf geschwebt.
Es steht hier nicht etwa: „Dann kamen noch ein paar Hirten und fanden den kleinen Jesus in einer Krippe.“
Sondern: „Es geschah genauso, wie es ihnen zuvor gesagt wurde“.
Das klingt viel mehr nach einem göttlichen Wunder.

Die Hirten als Kommunikationsfaktor

So, jetzt gab es damals weder Zeitungen, noch soziale Medien.
Wenn da also „in the middle of nowhere“ ein gerade geborenes Kind, und sei dieses auch noch so heilig, in einer Futterkrippe liegt, dann wird davon wohl kaum jemand Notiz genommen haben.
Und damit dies aber verbreitet wird, dazu brauchte es genau diese Hirten. Denn die kamen mit ihren Herden ja ganz schön viel herum.
„Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ (Lukas 2,1 – 20)
Geschickte Kommunikationsstrategie von den Engeln.

Allerdings: So schnell liefen die Kommunikationskanäle auch wieder nicht.
Hätten die Hirten das Wort der Engel schnell verbreitet, wäre es gegangen wie im „Life of Brian“, und Scharen von Schaulustigen hätten sich vor der Geburtsstätte gedrängt.
Jesus hätte demnach vom Säugling bis zum Knaben keine ruhige Minute gehabt, sondern es hätte bereits jede Menge Geschichtenschreiber gegeben, die sein erstes Lallen schon in Gleichnisse übersetzt hätten.
Also: Dass in der Krippe wirklich Gottes Sohn lag, konnte damals kaum jemand ahnen und schon gar nicht nachprüfen. Deshalb verlief Jesu Kindheit und seine halbe Jugend biblisch auch so ereignisarm.

Klar ist also: Niemand außer ein paar Engeln wusste zum Geburtszeitpunkt, was aus diesem Neugeborenen werden würde. Die Geschichte über seine Geburt wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tode aufgeschrieben. Ob da noch einer der Hirten, die da angeblich am Ort des Geschehens als Augenzeugen dabei gewesen sind, über die Geschehnisse authentisch berichten konnte, ist mehr als unwahrscheinlich.

Es gab also in der Zeit dazwischen reichlich Gelegenheit, die Geburt des Messias mit wundervollen Anekdoten auszuschmücken. Und wäre Jesus nicht ca. dreißig Jahre später gekreuzigt worden, dann hätte sich wohl niemand die Mühe gemacht, die Geschichte seiner Geburt niederzuschreiben.
Und die Hirten hätten sich nachträglich vermutlich gedacht, dass ihnen etwas höchst Seltsames in ihren Schlaftrunk gemischt worden wäre, dass eine „Engelerscheinung“ sie dazu veranlasst hat, schnurstracks ein Baby in einer Futterkrippe aufzusuchen.

Der Herr ist dein Hirte und das Volk sind die Schafe
– oder vielleicht ganz andere Tiere?

Wir kennen ja alle diese liebliche Bildchen von Jesus mit einem Lämmchen auf seinen Schultern.
Er bezeichnet sich ja selbst als „der gute Hirte“ (vgl. Johannes 10,11).
Angesichts der Wichtigkeit der Viehwirtschaft liegt es ja nahe, das Bild des Hirten auf eine Führungspersönlichkeit zu übertragen: Er versorgt das Volk mit allem, was es braucht. Und er beschützt es.
Und damit passte es ja auch ganz gut ins Konzept der Berichterstattung, dass bereits kurz nach der wundersamen Geburt einige Herren des gleichen Berufsstandes um das Kripplein des heiligen Kindes herum versammelt waren.

Bei den Hirten mit ihren Herden denken wir ja gleich einmal an Schafe.
Das Volk – also Menschen – mit Schafen zu vergleichen, das störte in der Antike übrigens niemanden. Im Gegenteil: Das Schaf hat Eigenschaften, die man sich von einem Untertan wünscht.

Waren es aber wirklich Schafe, mit denen die legendären Hirten da auf freiem Felde lagerten?
Auch hier sind wir wieder im Bereich der Phantasie. Denn von Schafen steht nichts bei Lukas, nur von einer Herde.
Was waren das also für Tiere? Egal, wir können davon ausgehen, dass diese alle geschlafen haben, denn weder Schafe oder Ziegen, noch Rinder oder Kamele sind nachtaktiv. Und die Hirten hielten ja Nachtwache.

Wie die schlafenden Tiere auf diese Engelserscheinung und allem, was dem folgte, reagiert haben, wurde uns leider nicht überliefert.
Das ganze muss ja eine ziemlich abgefahrene Light-Show gewesen sein:
Zuerst leuchtet der „Glanz des Herrn“ um den Engel, und dann tritt auch noch „die Menge der himmlischen Heerscharen“ auf. Schließlich fahren sie nach einem imposanten „Gloria in excelsis deo“ wieder „gen Himmel“.

Den Hirten fällt darauf nichts besseres ein, als sofort davon zu „eilen“ (so steht es im Lukasevangelium), um Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag, zu finden.
Wären es wirklich so „gute Hirten“ gewesen, wie es ja auch später der Heiland hätte werden sollen, dann hätten sie sich doch erst einmal um ihre aufgescheuchten Herden gekümmert.
Was wir auch nicht wissen: Haben sie die Tiere alleine auf offenem Felde zurück gelassen (ganz schlecht!) oder sind sie mit allem dem Vieh zur Geburtsstätte in Betlehem gezogen. Das hätte aber das „Eilen“ ziemlich verzögert und das wäre auch ein ziemlicher Remmi-Demmi im kleinen Ort Bethlehem geworden.
Davon wird allerdings nichts im Lukasevangelium berichtet.
Matthäus übrigens erzählt gar nichts von irgendwelchen Hirten. Entweder weil sie gar nicht dabei waren oder weil er es nicht für notwendig erachtete, diese zu erwähnen.
Wir wissen es nicht.

 

Fortsetzung folgt!

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Bildquellen:

Govert Flinck – Aankondiging aan de herders – commons.wikimedia.org
artolomé Esteban Murillo – Anbetung der Hirten (um 1657) – de.wikipedia.org
Andachtsbild ( 1911 ) mit Christus als Gutem Hirten – Wolfgang Sauber –
commons.wikimedia.org

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