Heute ist Nationalfeiertag in Serbien.
Ein guter Anlass sich an eine der ältesten Kulturen zu erinnern: Die Vinča-Kultur aus der Jungsteinzeit.
So Nationalfeiertage beinhalten für mich immer so ein wenig Unbehagen. Sehr oft ist der Hintergrund ein martialischer – auch wenn es um die Befreiung von einer Besatzungsmacht geht. Wieviel Gewalt, Unterdrückung, Blut und Tränen stecken meist hinter dem, was an diesen Nationalfeiertagen gefeiert wird.
Daher möchte ich den Serbinnen und Serben heute zu dieser wunderbaren Kultur gratulieren, die auf dem Gebiet des heutigen Serbiens vor rund 7000 Jahren ihre Hochblüte hatte. Es sind zahlreiche Frauenfiguren erhalten.
Und vor allem der älteste erhaltene Satz der menschlicher Sprache. Er lautet:
“Bärgöttin und Vogelgöttin sind wirklich die Bärgöttin”
Dieses uralte Zeugnis menschlicher Sprache, steht auf zwei 7.000 Jahre alten tönernen Spinnwirteln (Schwunggewichten einer Handspindel). Diese wurden westlich von Belgrad am Südufer des Flusses Save gefunden.
Dem amerikanischen Linguisten Toby Griffen ist es gelungen, diesen Satz in der Vinča-Schrift der alteuropäischen Kultur zu entziffern.
Bringt Leben und symbolisiert Tod
Was bedeutet nun dieser Satz? Die Bärgöttinnen wurden meist als Ge-Bär-Göttinnen verstanden. Die Vogelgöttin ist in vielen Kulturen ein Symbol für die totbringende Göttin.
Was haben die Menschen damals vor 7.000 Jahren schon erkannt?
Zum einen, dass das Leben in der Hand der Göttin liegt.
Zum anderen, dass die Todes-Vogel-Göttin nichts anderes ist als die gebärende Göttin: “Bärgöttin und Vogelgöttin sind wirklich die Bärgöttin”.
Sie ist die, die Leben bringt und gleichzeitig den Tod symbolisiert.
Alles Ende ist nur die Geburt in eine neue Phase, in eine neue Realität.
Geheimnisvolle Zeichen auf Schwunggewichten
Dass dieser Satz gerade auf den Schwunggewichten einer Handspindel gefunden wurde, ist interessant. Die Tätigkeit des Spinnens zeichnet sich ja durch auf- und ab-Bewegungen aus. Und Göttinnen, die spinnen sind meist auch Schicksalsgöttinen, die den (Lebens-)faden zwirbeln, spinnen und ihn auch abschneiden können.
Griffen identifizierte drei verschiedene Zeichen, im Kreis herum geschrieben, vorwärts und rückwärts lesbar. Auf Tonfigürchen, die Bären und Vögel darstellen oder aber Menschen mit Bären- und Vogelmasken (ähnlich dem Fabelwesen des Vogel Greif), fand er die drei Zeichen – halb Mensch und halb Tier – wieder.
Er fand heraus, dass sie für die Begriffe Bär, Vogel und Göttin stehen. Darüber hinaus erkannte er in den Zeichen die abstrahierende Darstellung einer Bärentatze und einer Vulva und wertete diese als Symbole für Fruchtbarkeit.
Besonders wichtig scheint das Wort Göttin zu sein: Auf einigen Fundstücken ist es umrahmt.
So entstand eine Wortfolge: Bär – Göttin – Vogel – Göttin – Bär – Göttin – Vogel …
Vorlage für Artemis-Kult
Ein Exkurs in die griechische Mythologie zeigt, dass der auf Anhieb kaum verständliche Satz eine sinnvolle Aussage enthält: Die griechische Göttin Artemis geht auf ältere Bär- und Vogelgottheiten zurück, wobei ihr Bärwesen dominierte und ihr Vogelwesen zurücktrat. Überlieferungen zufolge spielte sie eine wichige Rolle in Initiationsriten für junge Frauen, die bei solchen Gelegenheiten als “Bärinnen” auftraten.
Der Satz auf den Spinnwirteln wirft somit ein Licht auf die Ursprünge des Kults der Artemis, die als Bär- und Vogelgöttin zu einer einzigen Bärgöttin verschmolzen wurden. Sie trägt ja auch die Wortwurzel “Art” in ihrem Namen. Und Artio ist die keltische Bärgöttin.
Diese Doppelfunktion der Artemis zeigt sich auch als Beschützerin der Tiere, wie auch als Jagdgöttin, die mit Pfeil und Bogen durch die Wälder streift und ausgewählten Tieren den Tod bringt. Als beschützende Göttin der HirtInnen und BogenschützInnen sorgt sie damit aber auch für Nahrung, damit das menschliche Leben weitergehen kann.
Die Archäologin Marija Gimbutas geht davon aus, dass die ältesten überlieferten Sprach- und Schriftdokumente der Menschheit aus Südosteuropa stammen. Der Balkan war damit eine Wiege der Zivilisation, noch vor Mesopotamien.
Infos zu den erwähnten Göttinnen:
Artemis
Artio
Bildquellen:
artedea.net
wikipedia.org
Herzlichen Dank Andrea!
„Bringt Leben und symbolisiert Tod (…) Alles Ende ist nur die Geburt in eine neue Phase, in eine neue Realität. (…) vorwärts und rückwärts lesbar (…) Bär – Göttin – Vogel – Göttin“ Genau!
Die Schwangere ist für das Kind in ihrem Inneren das uterine Universum und die Mittlerin in diese, unsere derzeitige Realität: Mutter-Gefühle, ihre seelische und körperliche Nahrung etc.. Die sie umgebenden Geräusche, die auf die Mutter wirkenden Realitäten! Abscheulich, traumatisch, wenn dabei Gewalt auftritt!
Das Kind wird zu einer durch die Vulva wiedergeborenen Seele. Wächst heran bis zur Todin, Sheela-na-gig. Durch deren Vulva in die Anderswelt, sammelt dort Lebenserfahrungen. Und der Kreislauf beginnt von Neuem:“Bär – Göttin – Vogel…“
Danke für diesen wundervollen Artikel Andrea! Ich bin sehr berührt ob dieser neuen Erkenntnis, die mich so tief mit meinen Wurzeln verbindet, die ganz in der Nähe des Fundortes an der Sava liegen. DANKE! Aho!