In der längsten Nacht, am Wendepunkt des Jahres feierten die Menschen im Alten Rom die Angeronalien oder Divalien zu Ehren der Göttin Angerona. Sie steht an der Schwelle des Jahres und gemahnt zur Stille und zum Innehalten.
Als Göttin des klugen Stillschweigens und des geheimen Wissens hält Angerona zum Zeichen dafür einen Finger vor ihren geschlossenen Mund. Sie weiß um die Geheimnisse des Neuen Jahres, will darüber aber noch nichts sagen.
Der Name der Angerona geht wahrscheinlich auf „angerendo“ (= herausführen) zurück, was darauf hinweist, dass sie nach dem kürzesten Tag die Sonne wieder herausführt. Damit dies gelingt, fordert die schweigende Göttin zur Stille auf.
Durch diese Konzentration auf die mystische Kraft der absoluten Ruhe soll die Sonne „gerettet“ werden. Ihre Kraft nimmt ja vom Tag der Wintersonnenwende mit jeden Tag wieder zu.
Es wendet sich die Zeit
Die Wintersonnenwende ist immer eine besonders magische Zeit im Jahr: Aus der größten, längsten und tiefsten Dunkelheit heraus wird das neue Licht geboren.
In vielen Religionen, spirituellen Richtungen und in zahlreichen Kulturkreisen wird daher die Wintersonnenwende in unterschiedlicher Art und Weise rituell gefeiert.
Denn in der größten Dunkelheit „wendet“ sich die Zeit. Ab nun, ab Winterbeginn werden die Tage allmählich wieder länger und die Sonne gewinnt täglich neue Kraft, kaum spürbar noch, doch hoffnungsfroh.
Alles wird aus der Dunkelheit heraus geboren
Das Fest der Wintersonnenwende hat aber gerade in spirituellen und religiösen Kreisen oft einen seltsamen Touch – endlich, endlich gewinnt das Sonnenlicht wieder an Macht.
Hurra, der junge Gott, der Sonnensohn ist geboren. Ja woraus denn?
Aus dem samtig-weichen dunklen Schoß seiner Mutter, aber die vergessen wir ganz schnell wieder, denn jetzt ist ja der Sohnemann da, das neue Licht in der Welt, das bald alles überstrahlen wird.
Was kümmert uns da die sanfte, dunkle, ruhige mütterliche Energie der Erd- und Schöpfungsgöttinnen?
Bei all der Freude um das neugeborene, wiedergewonnene Licht, sollten wir daher die Wintersonnenwende nicht ausschließlich zum triumphalen Sieg des Lichts über die Finsternis verkommen lassen, wie dies in patriarchalen Traditionen nur allzu oft geschehen ist, wo alles Dunkle, Erdige als negativ und alles strahlend Helle, Himmlische als positiv verstanden wird.
Die dunkle Kraft wird immer als weiblich, als mütterlich verstanden. Wer die Dunkelheit ablehnt, richtet ich auch gegen diese weibliche Urenergie, die Geborgenheit und Schutz gibt, aus der heraus alles entsteht.
Die Nacht der Mütter
Unsere angelsächsischen AhnInnen, feierten in dieser Zeit im Jahr „Modraniht“ – die „Nacht der Mütter“.
Denn in dieser Nacht gebiert die Göttin tief in der finsteren Erde in der stillsten aller Stunden das neue Sonnenkind. Je nach Auslegung ist diese Mutternacht die Nacht auf den 21. auf den 22. bzw. auf den 25. Dezember.
Es gibt eine Reihe an Beispielen aus vorpatriarchalen Traditionen, die als Zentrum die Verehrung der Göttin als Mutter des Göttlichen Kindes hat. Der Schwerpunkt lag dabei immer auf der Mutter und nicht auf dem Kind.
Die „Mütter“ waren meist jene „jungfräulichen“ Göttinnen, die – ganz ohne männliches Zutun – im Laufe der Jahreszeiten mithilfe der zyklischen Kraft den Tod in Leben, die Finsternis in Licht, die Nacht in Tag, den Winter in Frühling verwandelten.
So gebiert Rhiannon ihren Sohn Pryderi, von Isis wird der Sonnengott Horus wieder geboren, Demeter bekommt ihre heilige Tochter Persephone, Selene schenkt Dionysos das Leben, der im alten Griechenland als Erlöser und Gott der Fruchtbarkeit und des Wachstums galt, die keltische Göttin Rigani begibt sich in die Unterwelt und sucht ihren Sohn Esus, um ihn zu neuem irdischen Leben zu erwecken.
Womit wir uns langsam dem Christentum nähern, in dem natürlich auch eine jungfräuliche Muttergöttin ein strahlendes Kindlein zur Welt bringt.
Erde ändert ihre Taumelrichtung
Heute um exakt 11:44 MEZ hat die Sonne ihren Tiefpunkt erreicht. Ein kurzer Stillstand und dann ändert die Erde ihre Taumelrichtung, sodass die Sonne wieder zu uns nach Norden kommt.
Ich persönlich genieße diese laaangen Nächte. Es ist jetzt kurz vor 8 Uhr und während ich diese Zeilen geschrieben habe, ist so langsam, langsam der Tag aus der Nacht aufgetaucht.
Still ist es und sanft. Schnee liegt auf den Ästen, alles wirkt wie verzaubert.
Ein kleines Fenster in die Unendlichkeit öffnet sich da.
Alles kann ruhen, alles ist gut!
Mehr Informationen zu den erwähnten Göttinnen:
Angerona
Demeter
Isis
Maria
Rhiannon
Rigani
Selene
Mehr Gedanken zum Thema Dunkelheit und Licht gibt es im E-Book „Hell Dunkel: Der Zauber der dunklen Kraft. Eine Ermutigung für starke Frauen“ zu lesen.
Weitere Mythen und Geschichten rund um diese Zeit des Jahres findet ihr in den E-Books:
Julfest: Das Fest des wiederkehrenden Lichts und
Rauhnächte – Von den rauen Nächten und der Wilden Jagd
Für Schnell-Entschlossene: Es gibt noch einige wenige Plätze für den artedea-Rauhnächte-eWorkshop
„Der Schwerpunkt lag dabei immer auf der Mutter und nicht auf dem Kind.“ Richtig so, denn ohne Mutter kein Kind… So einfach.
Stirbt die Mutter bei der Geburt, absolute Tragik für alle Betroffenen.
Liebe Andrea, ganz lieben Dank für all deine Beiträge!!!
Dir inspirierend gemütliche Raunächte und ein wundervolles 2017! Herzlichst, Roswitha